"Übers Ziel hinausgeschossen"
In den vergangenen Monaten hat er aufmerksam nach Berlin geschaut: Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamts in Bonn. Vor einer Woche hat die Bundesregierung nun die 8. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) – quasi die Geschäftsgrundlage für Mundts Arbeit – beschlossen, inklusive mancher Erleichterungen bei Pressefusionen und Grosso-Absprachen. Doch Mundt ist not amused.
Frage: Herr Mundt, das neue GWB erleichtert Zusammenschlüsse von Presseverlagen – vor allem dadurch, dass künftig mehr Fusionsvorhaben als bisher am Bundeskartellamt vorbei betrieben werden können. Fühlen Sie sich ausgebootet, oder freuen Sie sich über die Arbeitsentlastung?
Mundt: Die Pressefusionskontrolle kommt geschwächt aus dieser Novelle. Es ist bedauerlich, dass sich die großen Verleger hier mit ihren Forderungen durchsetzen konnten. Das ist nicht nur aus wettbewerblicher Sicht zu kritisieren, sondern damit wird perspektivisch auch die Meinungsvielfalt in Deutschland geschwächt. Aus unserer Sicht waren die vorgenommenen Änderungen schlicht nicht erforderlich. Der alte Rechtsrahmen war hinreichend flexibel.
Frage: Der Gesetzgeber will mit der Erhöhung der Aufgreifschwelle und des Bagatellmarktes, der Erleichterung von Sanierungsfusionen und der Einführung der Bagatellanschlussklausel den Handlungsspielraum kleiner und mittlerer Verlage erweitern, um ihnen angesichts vielfach rückläufiger Auflagen und Anzeigenumsätze durch digitale Medien und Werbeträgerkonkurrenz den Strukturwandel zu erleichtern und Pressevielfalt zu sichern. Halten Sie die beschlossenen Maßnahmen dazu für geeignet?
Mundt: Es geht hier ja gerade nicht nur um eine Erleichterung von Pressefusionen zwischen mittelständischen Verlagen. Unsere Entscheidungspraxis zeigt ja, dass wir solchen Vorhaben offen gegenüber stehen. Deshalb hätte ich an dieser Stelle gegen moderate Anpassungen des Gesetzgebers auch keine Einwände erhoben. Die Änderungen gehen aber darüber hinaus. Sie führen dazu, dass künftig viele Übernahmen von kleinen und mittleren Verlagen durch große Verlagshäuser kontrollfrei möglich sein werden. Hier ist man über das Ziel hinausgeschossen. Diese Gesetzgebung ermöglicht Großverlagen eine Arrondierung ihrer Tätigkeiten, wie zum Beispiel den Aufbau flächendeckender Lokalzeitungsketten.
Frage: Sprechen wir speziell über Werbevermarktung, ob nun durch Fusionen von Vermarktern, Mandatsvergaben oder Kooperationen. Inwieweit gelten hier für das Kartellamt dieselben Tatbestände des Pressefusionsrechts? Inwieweit urteilen Sie milder, wenn es nur um die Zusammenlegung von Vermarktung geht – und nicht um die Fusion kompletter Verlage?
Mundt: Die Geschäftstätigkeit der Medienunternehmen hat immer zwei Säulen: Die Beziehung zu den Konsumenten der Inhalte einerseits und die Beziehung zu den Werbekunden andererseits. Beide Säulen sind eng miteinander verbunden. Die Finanzierung über Werbung hat im Pressebereich eine große Bedeutung. Im Übrigen kommt es auch hier, wie so oft, auf den konkret zu beurteilenden Einzelfall an.
Frage: Immer mehr Verlage beklagen sich über vermeintlich zu enge Fesseln, die ihnen das Kartellrecht anlege. Axel Springers Zeitungsvorstand Jan Bayer etwa forderte jüngst eine Lockerung der Pressefusionskontrolle und wünschte sich mit Blick auf das Wohl der Gattung einerseits und Google und Co andererseits, dass das Kartellamt den Werbemarkt „realistischer und damit weiträumiger definiert und anerkennt, dass die Werbemarktanteile für Zeitungen immer kleiner werden und ins Internet abwandern“. Ziehen Sie sich diesen Schuh an?
Mundt: Diesen Forderungen liegt eine Vereinfachung und in gewisser Weise eine Verzerrung einer sehr viel komplexeren ökonomischen Realität zugrunde. Wir berücksichtigen selbstverständlich auch die Situation im Online- Bereich. Die Marktstellung von Google und anderen großen Playern wird fortlaufend beobachtet und bewertet. Wenn wir heute zum Beispiel ein Vorhaben zweier Zeitungsverlage prüfen, berücksichtigen wir natürlich auch den Wettbewerbsdruck, der von Online ausgeht. Insoweit ziehen wir uns diesen Schuh also nicht an.
Frage: Können Sie die Argumentation der Verlage denn nachvollziehen?
Mundt: Es geht im Kern in jedem unserer Verfahren um die Frage, wie man den relevanten Markt definiert, der die Wettbewerbsbeziehungen zwischen den Akteuren widerspiegelt. Hier zeigt bislang noch jede Marktanalyse, die von uns – aber auch von anderen Institutionen – vorgenommen wurde, dass man eben gerade nicht jegliche Werbeform unter wettbewerblichen Aspekten in einen Topf werfen kann.
Frage: Sondern?
Mundt: Entscheidend ist die Sicht der Abnehmer, die die Produkte beziehen und zu deren Lasten etwaige Wettbewerbsbeschränkungen gehen würden. Den Werbungtreibenden steht ein Werbebudget zur Verfügung, das grundsätzlich auf verschiedene Medienformate verteilt werden kann. Insoweit gibt es natürlich einen gewissen Wettbewerb unter den existierenden Medien – etwa Radio, Fernsehen, Online und Presse – um die Größe des eigenen Kuchenstücks. Andererseits sind die einzelnen Medienformate aus Sicht vieler Werbungtreibenden komplementär und wegen ihrer Reichweite jeweils unverzichtbar. Für andere Werbungtreibende wiederum kommt – beispielsweise aufgrund des Produkts, der regionalen Ausrichtung oder der spezifischen Kundengruppe – nur eine bestimmte Werbeform in Betracht.
Frage: Die Etat-Abwanderungen von Print zu Fernsehen und Online sprechen aber eine andere Sprache.
Mundt: Sicher wird hin und wieder ein gewisser Teil des Werbebudgets auf ein anderes Medium umgeschichtet, wenn es Probleme gibt oder strategische Ausrichtungen dies nahelegen. Ein kompletter Verzicht auf reichweitenstarke Medien – und die Presse ist dies trotz sinkender Auflagen und wird es auch auf absehbare Zeit bleiben – ist aber für sehr viele Werbungtreibende nicht möglich. Aus unserer Sicht ist es daher unerlässlich, auch innerhalb der einzelnen Mediengattungen für hinreichenden Wettbewerb zu sorgen.
Frage: Das wird Google und Co sicher freuen.
Mundt: Wettbewerbsbeschränkungen im Anzeigenmarkt von Printmedien auf Kosten der hierauf angewiesenen Abnehmer und der Verbraucher können nicht einfach pauschal mit der Größe und Finanzkraft von Google und anderen gerechtfertigt werden. Dabei wird auch gerne ausgeblendet, dass viele Verlagshäuser längst selbst erfolgreich im Bereich der Onlinewerbung tätig sind und aufgrund ihres großen Inhalte-Portfolios über beste Voraussetzungen verfügen, gerade online weiter zu wachsen.
Frage: Burda-Vermarktungschef Andreas Schilling denkt laut über Verlags- und Vermarkter- übergreifende Werbepakete für große TV-Werbekunden nach, um diese in die Gattung Print zu locken. Wie beurteilen Sie diesen Gedanken?
Mundt: Solche Geschäftsmodelle lassen sich nicht abstrakt generell, sondern nur im konkreten Einzelfall beurteilen.
Frage: Beim Fernsehen dominieren zwei große Vermarkter – die Pro-Sieben-Sat-1-Gruppe und RTL/IP – mit über 80 Prozent den TV-Werbemarkt. Was sind aus Ihrer Sicht die historischen, juristischen oder ökonomischen Gründe dafür, dass im TVMarkt eine Situation entstehen konnte, die im Printmarkt kartellrechtlich niemals erlaubt worden wäre und würde?
Mundt: Ich möchte noch einmal betonen, dass es „den“ Print-Markt nicht gibt. Wir müssen vielmehr diverse Leser- und Anzeigenmärkte unterschieden, auf denen die Anbieter von Print-Objekten aktiv sind. Gerade im Lokalzeitungsmarkt finden wir ja häufig monopolistische Marktstrukturen vor, mithin eine Situation, die aus wettbewerblicher Sicht mehr Bedenken aufwirft als die auf dem bundesweiten TV-Werbemarkt. Diese Struktur konnte in vielen Fällen bereits vor der Einführung der Pressefusionskontrolle entstehen, als es Verlagen noch fast ungehindert möglich war, ihre Wettbewerber aufzukaufen.
Frage: Was nichts daran ändert, dass im TVWerbemarkt ein gewaltiges Duopol herrscht.
Mundt: Im TV-Werbemarkt zeigt sich, dass es neben Fusionen eine Vielzahl anderer Gründe gibt, die zur Herausbildung wettbewerblich problematischer Marktstrukturen führen können. Im Unterschied zu Zusammenschlüssen kann das Kartellrecht jedoch sonstige rechtliche Rahmenbedingungen oder marktimmanente Faktoren wie etwa Netzwerkeffekte, die zum Beispiel ein besonderes Wachstum einiger weniger Anbieter zulasten aller anderen begünstigen können, nicht so einfach aus der Welt schaffen. Wir können dann nur verhindern, dass eine bereits problematische Situation durch Zusammenschlüsse oder Kooperationen nicht noch weiter verschlechtert wird. Gerade im Bereich der TV-Werbung hat das Bundeskartellamt darauf stets sehr sorgfältig geachtet.
Frage: Zum Schluss noch zum Pressevertrieb: Hier erlaubt das neue GWB künftig Absprachen zwischen Verlags- und Grosso- Verbänden über Konditionen und Leistungen. Und zwar mit der Begründung, dass diese bisher stillschweigend geduldete und fortan explizit erlaubte Ausnahme vom Kartellverbot zu der gerühmten Pressevielfalt geführt habe. Absprache- und Vertragsfreiheiten können also sehr segensreich wirken. Kratzt das nicht an Ihrem Selbstverständnis als Kartellwächter?
Mundt: Man kann munter darüber streiten, ob das bestehende Pressegrosso-System wirklich notwendig ist, um die Pressevielfalt in Deutschland abzusichern. Meines Erachtens ist im Vorfeld nicht ausreichend untersucht worden, ob nicht auch alternative Vertriebsformen in Betracht kämen. Es bleibt abzuwarten, ob die jetzt gefundene gesetzliche Lösung im Ergebnis wirklich trägt. Die Regelung stößt an europarechtliche Grenzen, die der nationale Gesetzgeber nun einmal nicht beeinflussen kann.
Das Interview führte Roland Pimpl.
Quelle: Horizont am 25.01.2012