"Die 'Big Four' haben 85 Prozent Marktanteil"
Fuldaer Zeitung: Die Landwirtschaft klagt, dass die großen Handelsketten immer mehr kleinere schlucken und mit ihrer Marktmacht die Preise für Milch und Fleisch diktieren. Stimmt diese Beobachtung?
Andreas Mundt: Wir haben im Lebensmitteleinzelhandel in den vergangenen Jahren eine starke Konzentration erlebt. 1999 hatten wir bundesweit noch acht große Lebensmittelhändler mit 70 Prozent Marktanteil. 2015 waren es noch vier Unternehmen – Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland – mit 85 Prozent Marktanteil.
Fuldaer Zeitung: Was bedeutet dies für Verhandlungen zwischen den Fleisch- und Milchproduzenten und den Handelsunternehmen?
Andreas Mundt: Die meisten Lebensmittelhersteller, auch Fleisch- und Milchproduzenten, sind auf den Absatz über die großen Handelskonzerne angewiesen und haben kaum Ausweichmöglichkeiten. Auf der einen Seite stehen damit die vier großen Handelsunternehmen, und auf der anderen Seite stehen mehr als 6000 verschiedene Hersteller. Hier gibt es offensichtlich unterschiedliche Verhandlungspositionen.
Fuldaer Zeitung: Seit wann beobachtet das Kartellamt die „Big Four“ im Lebensmittelgeschäft denn schon?
Andreas Mundt: Die Marktmacht der großen Handelsketten ist für uns ein Dauerthema, mit dem wir uns schon sehr lange beschäftigen.
Fuldaer Zeitung: Müsste das Kartellamt nicht stärker eingreifen?
Andreas Mundt: Wir haben einiges unternommen, um einer Verschlechterung der Wettbewerbsverhältnisse entgegenzuwirken. Durch die Fusionskontrolle und durch die Instrumente der Missbrauchsaufsicht, mit denen wir gegensteuern können, wenn große Unternehmen ihre Marktmacht missbrauchen.
Fuldaer Zeitung: Trotzdem ist die Situation für viele Landwirte existenzbedrohend. Was könnte man tun, um die Lage zu verbessern?
Andreas Mundt: Nun, wir versuchen zunächst einmal, die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels zu begrenzen. Es gibt aber auch andere Punkte, wo man ansetzen kann. Im Milchbereich sehen wir zum Beispiel ein Problem in den Vertragsbedingungen, die fast flächendeckend gelten. Die Landwirte können beispielsweise auf schlechte Preise ihrer Molkerei kaum durch den Wechsel zu einer anderen Molkerei reagieren.
Fuldaer Zeitung: Wieso nicht?
Andreas Mundt: Die Landwirte müssen sehr langfristige Lieferverträge mit der Molkerei abschließen und können schon deshalb nur schwer wechseln. Außerdem müssen sie ihre Milch vollständig bei „ihrer“ Molkerei abliefern, können also nicht einmal Teile der Produktion an deren Wettbewerber verkaufen. Und es gibt in vielen Verträgen sogenannte Referenzpreissysteme. Dieses System führt dazu, dass Preisänderungen einer Molkerei ganz schnell die gleiche Preisänderung bei einer anderen Molkerei nach sich ziehen – der Landwirt hat dann das Nachsehen.
Fuldaer Zeitung: Edeka, einer der großen 4, will weiter wachsen und quasi die Nummer 5, die Handelsgruppe Kaiser’s Tengelmann, übernehmen. Wie wird das den Markt weiter verändern?
Andreas Mundt: Unterhalb der Gruppe der vier großen Handelsunternehmen in Deutschland ist Tengelmann einer der größten noch verbliebenen regionalen Wettbewerber. Durch die Übernahme verlieren die Lieferanten eine Alternative für den Absatz ihrer Produkte. Außerdem verfügt Kaiser’s Tengelmann über ein attraktives Standortnetz vor allem in großen Ballungsräumen. Dort sind die Marktanteile zum Teil hoch. In fünf Bezirken von Berlin bekäme Edeka beispielsweise mit der Übernahme von Kaiser’s Tengelmann einen Marktanteil von über 40 Prozent. Der Zuwachs durch die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann läge bei bis zu 28 Prozent. Zusammen mit Rewe lägen die Marktanteile bei bis zu 72 Prozent. Da haben die Verbraucher kaum noch Auswahl.
Fuldaer Zeitung: Sie haben die Fusion eigentlich untersagt, aber die Politik hat da auch noch ein Wörtchen mitzureden …
Andreas Mundt: Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat in Aussicht gestellt, dass er die Fusion zwischen Edeka und Kaiser’s Tengelmann freigeben wird, wenn bestimmte Auflagen zum Erhalt der rund 16000 Arbeitsplätze bei Kaiser’s Tengelmann erfüllt sind.
Fuldaer Zeitung: Warum stellt sich die Politik gegen das Kartellamt?
Andreas Mundt: Man muss scharf trennen zwischen der wettbewerblichen und der politischen Bewertung. Das Bundeskartellamt prüft, ob es zu einer Behinderung des Wettbewerbs kommt. In diesem Fall etwa, ob die Verbraucher noch genügend Auswahl im Lebensmitteleinzelhandel haben und ob es für die Lieferanten noch genügend Ausweichmöglichkeiten gibt. Wie Sie wissen, waren unsere Bedenken erheblich.
Fuldaer Zeitung: Aber kann denn der Bundeswirtschaftsminister die kartellrechtlichen Bedenken einfach so übergehen?
Andreas Mundt: Der Wirtschaftsminister hat die Möglichkeit, trotz unserer Untersagung der Fusion eine Freigabe zu erteilen, wenn „die gesamtwirtschaftlichen Vorteile“ die Wettbewerbsbeschränkungen aufwiegen oder der Zusammenschluss durch ein „überragendes Interesse der Allgemeinheit“ gerechtfertigt ist. Im konkreten Fall steht der „Erhalt von Arbeitsplätzen und Beschäftigungsverhältnissen“ im Zentrum der Prüfung beim Wirtschaftsministerium.
Fuldaer Zeitung: Halten Sie das für richtig?
Andreas Mundt: Grundsätzlich finden wir diese Zweiteilung in der Fusionskontrolle sinnvoll, denn so wird die wettbewerbliche Analyse unserer Behörde von politischen Fragen getrennt, und wir können ohne Einflüsse von außen unabhängig entscheiden. Das Instrument wird sehr selten eingesetzt. Seit dem Bestehen der Fusionskontrolle gab es gerade einmal acht erfolgreiche Anträge auf Ministererlaubnis.
Das Interview führte N. Bensing.
Quelle: www.move36.de