"Facebook beherrscht den Markt"
Rheinische Post: Herr Mundt, Sie haben in 2018 für rund 380 Millionen Euro Bußgelder wegen heimlicher Kartelle verhängt, mehr als fünfmal so viel wie 2017. Und eingenommen haben Sie 460 Millionen Euro. Was läuft besser?
Andreas Mundt (Mundt): Wir verfolgen Kartellvergehen grundsätzlich streng. Die Höhe der Einnahmen für den Bundeshaushalt hat natürlich auch mit zeitlichen Zufällen zu tun. Hinsichtlich der neuen Verfahren ist es sehr wichtig, dass die sogenannte Wurstlücke geschlossen wurde: Tönnies und andere Unternehmen waren ja einer Buße entgangen, weil sie durch Umstrukturierungen ihrer Unternehmen eine Gesetzeslücke ausnutzen konnten. Seit Juni 2017 ist diese Lücke geschlossen.
Rheinische Post: Bleibt die Kronzeugenregelung der entscheidende Hebel, um Kartelle zu knacken, weil sie Unternehmen straffrei stellt, die von sich aus auspacken?
Mundt: Wir hatten auch 2018 wieder 19 Kronzeugenanträge. Das sind eine ganze Menge neue Hinweise auf Kartelle. Dennoch sind es weniger Anträge als in den Vorjahren. Wir sehen, dass das Thema Compliance ernster genommen wird. Immer mehr Unternehmen beugen vor und möchten Kartelle erst gar nicht entstehen lassen. Außerdem relativiert sich der Vorteil als Kronzeuge auszusagen ein Stück weit dadurch, dass auch diese Firmen von privaten Schadenersatzklagen betroffen sein können.
Rheinische Post: Das bedeutet?
Mundt: Beim Zuckerkartell wurde auf mehr als 600 Millionen Euro Schadenersatz geklagt, beim LKW-Kartell auf mehr als 1,2 Milliarden Euro. Einerseits begrüßen wir diese Entwicklung - die privatrechtliche Kartellverfolgung ist eine zweite wichtige Säule zur Bekämpfung von Kartellen. Andererseits sind Kronzeugen wichtig, um Kartellen überhaupt auf die Spur zu kommen. Das ist eine schwierige Balance.
Rheinische Post: Also brauchen Sie auch andere Methoden?
Mundt: Tipps von aufmerksamen Kunden oder Mitarbeitern haben genauso wie Eingänge über unser anonymes IT-gestütztes Hinweisgebersystem bereits viele wichtige Verfahren ausgelöst. Wir können mit Hilfe von Datenanalyse und geeigneter Software Kartelle aufspüren. So können wir bei öffentlichen Ausschreibungen anhand gewisser Muster erkennen, ob Unternehmen ihre Angebote vielleicht heimlich absprechen.
Rheinische Post: Im Frühjahr werden die Lizenzen für das Mobilfunknetz 5G vergeben. Sie wollten, dass neben Telekom, Vodafone und Telefonica auch neue Betreiber eine Chance erhalten. Dennoch werden die Netzbetreiber nicht verpflichtet, Newcomern ihr Netz als „Roaming“ zu vermieten.
Mundt: Die Bundesnetzagentur hat unter den gegebenen Umständen einen guten Vorschlag für die Vergabelizenzen gemacht. Die nationalen Netzbetreiber werden verpflichtet sein, mit anderen Anbietern fair über einen diskriminierungsfreien Netzzugang zu verhandeln. Die Netzagentur wird als Schiedsrichter agieren. Das wird nicht einfach und ist mit einer gewissen Rechts-unsicherheit verbunden. Entscheidend ist, wie das in der Praxis umgesetzt wird.
Rheinische Post: Telekom und Vodafone meinen, zu viel Wettbewerb würde ihnen Mittel nehmen, um bei 5G zu investieren.
Mundt: Gemeinhin belebt Wettbewerb das Geschäft und damit auch die Investitionsbereitschaft der Unternehmen. Beim aktuellen Mobilfunkstandard LTE liegen wir bei der Netzabdeckung nur auf Platz 26 der 31 Länder des Europäischen Wirtschaftsraumes. Trotzdem zahlen die Verbraucher verhältnismäßig viel - die Preise für intensive Datennutzung sind die neunt-höchsten der 35 OECD-Staaten. In dieser Kombination sind das Indikatoren für einen Mangel an Wettbewerb.
Rheinische Post: Was macht das schon lange laufende Verfahren gegen Facebook?
Mundt: Wir werden Anfang 2019 eine Entscheidung zu Facebook verkünden. Wir meinen, dass Facebook den relevanten Markt beherrscht. Wir prüfen, ob das Unternehmen den Kunden unangemessene Geschäftsbedingungen aufzwingt, und durch die Art und Weise, wie Daten gesammelt und genutzt werden, seine Marktmacht zu Lasten der Kunden missbraucht.
Rheinische Post: Kann ein Markt durch das Kartellamt reguliert werden, in dem Nutzer das Produkt kostenlos erhalten?
Mundt: Facebook ist keine gemeinnützige Veranstaltung, die Kunden zahlen mit ihren Daten und sie zahlen mit Aufmerksamkeit für Werbung und Anzeigen. Wenn die Daten der Nutzer nun stärker genutzt und erhoben werden, als vielen Bürgern bewusst ist, kann man dies als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung bewerten.
Rheinische Post: Was machen Sie, wenn Facebook Auflagen ignoriert?
Mundt: Selbstverständlich könnten wir unsere Entscheidungen auch durchsetzen, wenn sie ein Unternehmen nicht umsetzen sollte.
Rheinische Post: In einer Studie kritisieren Sie das intransparente Angebot vieler Vergleichsportale, aber abmahnen können Sie diese nicht. Und nun?
Mundt: Seit 2017 können wir Untersuchungen durchführen, wenn bestimmte Verstöße gegen Verbraucherrechte naheliegen. Diese neue Zuständigkeit haben wir postwendend zur Aufklärung über dieses wichtige Thema genutzt. Vergleichsportale sind ein extrem nützliches Instrument. Die Verbraucher sollten aber auch ganz genau wissen, wie die Suchergebnisse tatsächlich zu Stande kommen. Wir würden also gerne Vergleichsportalen zur Pflicht machen, dass sie offenlegen, welche Versicherungen oder Reiseanbieter bei einem Vergleich nicht enthalten sind. Die Verbraucher müssten auch erfahren, dass eine besonders prominente Platzierung von Angeboten am Anfang einer Tabelle in vielen Fällen an einer entsprechenden Provision hängt. Es ist richtig, dass wir weitergehende Kompetenzen für das Bundeskartellamt für sinnvoll erachten. Dann könnten wir das auch durchsetzen, was wir bislang nur vorschlagen können.
Rheinische Post: Welches Ziel hat die Untersuchung gegen Amazon?
Mundt: Es geht um das Geschäftsverhältnis zwischen dem Amazon Marktplatz und vielen kleineren Händlern die den Marktplatz nutzen, um ihre Produkte online zu verkaufen. Wir prüfen, ob Amazon hier marktbeherrschend ist und der Marktplatz für die Händler unverzichtbar ist. Uns haben zahlreiche Beschwerden erreicht, die unter-schiedliche Klauseln und Verhaltensweisen von Amazon betreffen, da geht es um Kündigungsrechte, die Sperrung von Händlern, Haftungsregeln, die Frage, welches Gericht im Konfliktfall zuständig wäre und vieles mehr. Wir prüfen jetzt, ob hier Missbrauch von Marktmacht vorliegt.
Rheinische Post: Auch die EU ermittelt gegen Amazon.
Mundt: Unser Verfahren und die Prüfungen der EU ergänzen sich bestens. Die EU prüft, ob Amazon Daten zum Nachteil kleinerer Händler unfair auswertet, wir untersuchen die Geschäftspraxis und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Als gleichzeitiger Marktführer im E-Commerce sowie Gatekeeper zwischen zig Millionen Kunden und vielen Tausend Geschäftskunden muss sich Amazon gefallen lassen, genau unter die Lupe genommen zu werden.
Das Interview führte Reinhard Kowalewsky.
Quelle: www.rp-online.de vom 02.01.2019