"Wir müssen an die Datenschätze heran"
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): Herr Mundt, Ihr Versuch, für Facebook das Datensammeln zu beschränken, ist vor dem Oberlandesgericht gescheitert. Hat sich das Kartellamt verrannt?
Andreas Mundt (Mundt): Wir haben nach unserem Beschluss im Februar viele aufmunternde Mails aus der ganzen Welt bekommen. Es gab und gibt große Zustimmung für unseren Ansatz, Facebook die Zusammenführung von Daten in diesem Ausmaß aus verschiedenen Quellen zu untersagen, solange die Nutzer nicht ausdrücklich zugestimmt haben. Für uns steht fest, dass das Unternehmen damit seine Marktmacht missbraucht.
FAZ: Das OLG hat ihre Argumente regelrecht zerpflückt.
Mundt: Das OLG hat zentrale Rechtsfragen anders beantwortet als wir. Das ist leider so. Aber diese Fragen sind von großer Bedeutung für den Wettbewerb in der digitalen Wirtschaft. Es geht um den Umgang mit Daten, wie sie Marktmacht begründen können, und dass die unangemessene Sammlung und Verwertung einen kartellrechtlich relevanten Missbrauch darstellen kann. Deshalb haben wir Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt. Wir sind davon überzeugt, dass das GWB, also das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, unser Vorgehen gegen Facebook trägt.
FAZ: Muss das GWB für den Umgang mit der digitalen Welt nachgeschärft werden?
Mundt: Mit Blick auf die Datenschätze, die in der Digitalwirtschaft angehäuft werden, und darauf, wie die Unternehmen damit umgehen, wäre das zu prüfen. Facebook ist da nicht das einzige Unternehmen, das man sich anschauen muss. Da laufen auch noch andere Verfahren. Die EUKommission zum Beispiel untersucht, wie die Datenflüsse zwischen Amazon und den Händlern auf dem Amazon-Marketplace aussehen.
FAZ: Was ist Ihre Sorge?
Mundt: Bei den großen Plattformen haben sich über viele Jahre gewaltige Datenbestände angesammelt, die Newcomer oder kleinere Wettbewerber nicht haben. Und es kommen immer mehr Daten dazu, teils in Echtzeit. Dass wie bei Facebook Daten aus ganz verschiedenen Quellen zusammengeführt und ausgewertet werden, produziert am Ende perfekte Persönlichkeitsprofile. Den meisten Nutzern ist das nicht klar, und die Unternehmen wollen auch nicht, dass die Nutzer darüber Bescheid wissen.
FAZ: Welche Konsequenzen muss man daraus ziehen?
Mundt: Zunächst die Einschränkung der Datensammlung aus verschiedenen Quellen und der uferlosen Datenverwertung, unser Ansatz bei Facebook. Das Zweite ist das Thema Datenportabilität. Jeder muss das Recht und die Möglichkeit haben, seine personenbezogenen Daten einzufordern und sie einem anderen bereitzustellen. Dieser Grundsatz ist bereits in der Datenschutzgrundverordnung angelegt.
FAZ: Reicht das für mehr Wettbewerb?
Mundt: Bei bestimmten Diensten kann das die Auswahlmöglichkeiten und die Wechselbereitschaft und damit auch den Wettbewerb fördern. Dazu kommt die Interoperabilität ins Spiel, also das technische Zusammenspiel verschiedener Systeme. Nehmen Sie Messengerdienste. Das sind bisher voneinander abgeschottete Systeme, die untereinander keine Kommunikation zulassen. Hier stellt sich aber auch sofort die Frage, wie weit die Interoperabilität gehen darf, ohne Differenzierungsmöglichkeiten für den Wettbewerb zu nehmen.
FAZ: Und wie steht es um den Zugang zu Daten von Wettbewerbern?
Mundt: Das ist auch ein wichtiger, aber ebenso schwieriger Punkt. Dürfen über Jahre angesammelte Datenbestände dauerhaft Exklusiveigentum eines vielleicht auch noch marktbeherrschenden Unternehmens sein? Es spricht einiges dafür, dass wir an solche Datenschätze heran müssen. Es gibt bereits erste Verfahren von Wettbewerbsbehörden, mit denen Unternehmen zur Auflage gemacht wurde, Dritten einen Zugang zu Daten einzuräumen.
FAZ: Muss die Wettbewerbsaufsicht nicht vor allem sehr viel schneller werden?
Mundt: In der Tat darf es nicht so sein, dass wir immer erst abwarten müssen, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Eine Erweiterung der Missbrauchsaufsicht wird bereits diskutiert. Bisher kommt sie ja erst dann in Betracht, wenn ein Unternehmen schon marktbeherrschend ist. Es ist zu überlegen, ob und welche Möglichkeiten es gibt, schon vorher einzugreifen. Da kommen wir allerdings in unwegsames Gelände, weil wir spezielle Regeln für sehr schnell wachsende Unternehmen benötigen oder uns Gedanken über eine marktübergreifende Marktmacht machen müssen.
FAZ: Wie kann das aussehen?
Mundt: Nehmen Sie Amazon, Google oder Facebook. Wenn die auf neue Märkte gehen, beginnen sie dort als Außenseiter und Herausforderer. Aber sie können ihre Finanzkraft, ihre Macht auf anderen Märkten, den Daten- und Kundenstamm und die Vorteile aus Netzwerkeffekten ohne weiteres auch auf den neuen Märkten ausspielen.
FAZ: Uns fällt da sofort die neue FacebookWährung Libra ein.
Mundt: Ein Beispiel von vielen. Da hat EUWettbewerbskommissarin Vestager schon angekündigt, dass sich die Kommission damit befassen wird. Wir sehen uns das auch an. Für Facebook wäre das übrigens eine weitere ergiebige Datenquelle. Oder Apple Pay. Ich wage die Behauptung, dass wir in fünf Jahren kein Portemonnaie mehr in der Tasche haben, sondern zum Bezahlen das Handy zücken. Google und das Thema autonomes Fahren wäre auch ein Beispiel in dieser Reihe. Google ist auf dem Automarkt ein Zwerg, kennt aber die Autokunden sehr genau. Und Google hat einen riesigen Datenvorsprung über sein Maps-Angebot.
FAZ: Sie haben im Mai eine Sektoruntersuchung zu Nutzerbewertungen im Internet eingeleitet. Haben sich die Hinweise auf gefälschte oder manipulierte Bewertungen verdichtet?
Mundt: Ich schau ja jeden Tag die Papierpost durch, die beim Bundeskartellamt eingeht. Es war beeindruckend zu sehen, welche Menge von Hinweisen uns erreicht. Wir haben den Eindruck, dass Fälschungen auf manchen Portalen kein Einzelfall sind. Es lohnt sich jedenfalls, da genauer hinzuschauen.
FAZ: Wie geht es weiter?
Mundt: Wir werden mehr als 50 Portale befragen, bei denen Nutzerbewertungen eine besonders wichtige Rolle spielen, darunter zum Beispiel auch Hotelportale, Amazon oder Tripadvisor. Die Schreiben mit den Fragebögen sollen bald rausgehen. Außerdem wenden wir uns an mehrere Anbieter von technischen Dienstleistungen für Nutzungsbewertungen.
FAZ: Wie weit ist die Sektoruntersuchung Online-Werbung?
Mundt: Da kann ich noch nicht mit Zwischenergebnissen oder Resultaten dienen. Wir legen großen Wert auf diese Untersuchung, schon deshalb, weil Online-Werbung ja das Ziel von Datensammlung und Datenauswertung ist. Unmittelbarer Anlass waren Beschwerden über abgeschottete Ökosysteme für Online-Werbung. In diesen Walled Gardens könnten dann die Anbieter die Bedingungen setzen.
FAZ: Während Amazon immer mächtiger wird, stehen Sie Fusionen im Einzelhandel sehr kritisch gegenüber. Ist das noch zeitgemäß?
Mundt: Wir haben gerade erst ein Verfahren gegen Amazon erfolgreich abgeschlossen und weitreichende Verbesserungen auf dem Marktplatz erwirkt. Parallel gibt es noch ein Verfahren der Kommission, also tut sich da auch noch etwas. Man darf bei aller Sorge um die Größe der Plattformen nun auch nicht so tun, als ob der stationäre Einzelhandel keine Umsätze mehr machte. Gerade im Lebensmitteleinzelhandel funktioniert das digitale Bestellen auch noch nicht so, wie sich das viele vorstellen. Aber Amazon und andere Plattformen haben bei der Bewertung von Marktpositionen im Einzelhandel in jeder Hinsicht längst Einzug gehalten. Vor zehn Jahren wären wir bei einer Fusion von Karstadt und Kaufhof auch noch „misstrauischer" gewesen. Heute berücksichtigen wir selbstverständlich den Druck, der durch den Online-Handel kommt.
FAZ: Wie steht es um die geplante Übernahme von Lekkerland durch Rewe?
Mundt: Die Kommission hat den Fall an uns verwiesen. Seit dem neunten September ist die Anmeldung bei uns vollständig. Wir prüfen jetzt.
FAZ: Was wird der Schwerpunkt?
Mundt: Über anhängige Fälle kann ich nicht viel sagen. Aber ganz generell werden wir uns die Besonderheiten bei der Belieferung von Tankstellen, Kiosken und kleinen Shops im Verhältnis zum sonstigen Großhandel ansehen.
FAZ: Die Metro versucht, ihre Real-Märkte zu verkaufen. Nur verzögert sich der Prozess gerade immer weiter. Liegt das auch an Ihnen?
Mundt: Nein. Metro und Redos sind an uns herangetreten für informelle Vorgespräche, die gibt es regelmäßig bei größeren Vorhaben. Der Presse entnehme ich, dass zwischen den Unternehmen derzeit andere als kartellrechtliche Fragen diskutiert werden. Wir können in so einer Vorphase allenfalls Anhaltspunkte für eine mögliche Bewertung geben. Sobald eine Anmeldung eingeht, beginnt die eigentliche Prüfung, und die ist an knapp bemessene gesetzliche Fristen gebunden. Von Verzögerung durch uns kann da keine Rede sein.
FAZ: Minister Altmaier hat das untersagte Gemeinschaftsunternehmen für Gleitlager von Miba und Zollern nachträglich genehmigt. Ist ein Gleitlager-Unternehmen mit 450 Mitarbeitern und 300 Millionen Euro Umsatz von so großer gesamtwirtschaftlicher Bedeutung, dass das Allgemeinwohl eine Ministererlaubnis rechtfertigt?
Mundt: Es ist nicht per se schlecht, dass wir eine Ministererlaubnis im Mittelstand sehen. Ich bleibe dabei, dass die Ministererlaubnis ein sehr brauchbares Instrument ist, wenn es mit der nötigen Sensibilität und Sorgfalt angewandt wird. Wir hatten insgesamt seit den 70er Jahren überhaupt erst 23 Anträge auf eine Ministererlaubnis, von denen nur zehn durchgekommen sind - und die größtenteils versehen mit strengen Auflagen. Sie sehen mich deshalb sehr gelassen. Im Übrigen bereitet uns diese Art von Unternehmen in der Fusionskontrolle tatsächlich manchmal Kopfzerbrechen.
FAZ: Warum?
Mundt: Es handelt sich um sehr erfolgreiche Unternehmen, die als Hidden Champion auf vergleichsweise kleinen Märkten tätig sind. Gleichzeitig müssen sie im Vergleich zu ihrem mittelständischen Umsatz oft hohe Investitionen stemmen. In der Fusionskontrolle sind diese Sachverhalte schwer fassbar. Weil die Märkte so klein sind, tun wir uns mitunter schwer, Zusammenschlüsse erfolgreicher mittelständischer Marktführer freizugeben.
FAZ: Auf EU-Ebene wird für die Förderung europäischer Champions über eine Lockerung der Fusionskontrolle diskutiert. Ist das der richtige Weg?
Mundt: Die Aufregung nach der Untersagung der Fusion von Siemens und Alstom hat sich etwas gelegt. Letztlich geht es um die Frage, ob europäische Verbraucher und auch die europäischen Wettbewerber die Marktmacht solcher Champions erdulden müssen, damit die Unternehmen zum Weltmarktführer werden können. Und das kann ich nur mit Nein beantworten. Denn wir haben nur den Wettbewerb als Instrument, um Qualität, günstige Preise und vor allem Innovationen zu sichern.
FAZ: Anderswo ist man weniger zimperlich, wenn es darum geht, eigene Unternehmen zu stärken.
Mundt: Unsere vielen deutschen Hidden Champions sind allesamt im und durch Wettbewerb entstanden. Wer weniger Wettbewerb will, muss auch sagen, wie er ihn in Zukunft ersetzen will. Handlungsbedarf auf europäischer Ebene sehe ich vor allem gegenüber subventionierten und künstlich abgeschotteten Unternehmen aus staatlich gesteuerten Wirtschaftsräumen. Europäische Anbieter können sich gegen diese mitunter nur schwer behaupten. Aber das ist kein Thema für das Wettbewerbsrecht, sondern wohl eher für die Außenhandelspolitik.
FAZ: Mitglieder eines Kartells, auch die Kronzeugen, müssen im Nachgang zu den Verfahren der Ermittlungsbehörden immer öfter mit Schadenersatzklagen ihrer Kunden rechnen. Wird es dadurch schwieriger, Kartelle aufzudecken?
Mundt: Die Zahl der Kronzeugenanträge ist jedenfalls rückläufig. Wir hatten in 2016 Hinweise von 59 Kronzeugen, 2017 waren es 37 Anträge und 2018 noch 25. Es stellt sich die Frage: Ist das eine Delle oder ein Trend? Und wenn es ein Trend ist: Was ist die Ursache? Vielleicht waren wir erfolgreich, und es gibt weniger Kartelle. Die pessimistische Sicht ist: Die Absprachen sind besser, wir finden sie nicht. Vielleicht liegt die Wahrheit dazwischen. Es zeigt sich jedenfalls, dass die Unternehmen auch wegen der drohenden Schadenersatzklagen noch mehr für Compliance und gegen verbotene Absprachen tun. Übrigens haben wir ja auch noch unser Hinweisgeberportal, mit dem uns Insider auf Kartelle aufmerksam machen.
FAZ: Wie ergiebig ist diese Plattform?
Mundt: Auf dem Portal geht es ausgesprochen lebhaft zu. Wir bekommen darüber jedes Jahre Hunderte von Hinweisen. Und es gibt immer wieder Fälle, die darauf zurückgehen. Zum Beispiel die Aufdeckung der Preisabsprachen für akustische Bauteile von Autos. Da haben wir ein Bußgeld von 90 Millionen Euro verhängt.
FAZ: Wie viele Kartellverfahren sind anhängig?
Mundt: Viele. Die Kollegen in der Kartellverfolgung sind gut beschäftigt.
Das Interview führte Helmut Bünder und Jonas Jansen.
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.09.2019, Wirtschaft, Seite 17