"Wir schützen die Staatskasse vor der Plünderung"

Herr Mundt, Verbraucher fühlen sich übervorteilt, weil sinkende Großhandelspreise für Strom und Gas bei Ihnen nicht ankommen. Muss das Kartellamt eingreifen?

Wenn Preise an den Energiebörsen sinken, sinken die Endkundenpreise nicht sofort und flächendeckend in gleichem Ausmaß. Zeitliche Verzögerungen sind normal, übrigens auch in Hochpreisphasen in die umgekehrte Richtung. Die sehr hohen Preisspitzen aus dem vergangenen Jahr schlagen sich zum Teil erst jetzt in den Endkundenpreisen nieder. Es kommt immer auf die jeweilige Beschaffungspoli­tik und andere Zusammenhänge an. Da gibt es keine Automatismen und deshalb auch keinen Grund, sofort von rechtswidrigem Verhalten auszugehen. Es gibt darüber eine sehr aufgeregte Debatte, und nicht alle argumentieren faktenbasiert. Und wer sich übervorteilt fühlt, sollte den Anbieter wechseln: So funktioniert Wettbewerb.

Trotzdem erwarten viele, dass das Kartellamt das Geschehen genauer unter die Lupe nimmt.

Das tun wir. Aber das bedeutet nicht, dass wir aktuelle Preiserhöhungen genehmigen müssten oder stoppen könnten. Uns haben schon Hunderte von Verbraucherinnen und Verbrauchern ihre Strom- und Gasrechnungen zur Prüfung zugeschickt. Das Kartellrecht ermöglicht allerdings nur unter sehr engen Voraussetzungen ein Einschreiten gegen hohe Preise. Wir haben das in der Vergangenheit bereits gemacht, etwa auf dem Fernwärme- und dem Wassermarkt. Diese Verfahren basierten aber alle auf dem klassischen Kartellrecht, weil es sich um sogenannte gefangene Kunden handelte, die ihren Monopolversorgern nicht aus­weichen konnten, und die Unternehmen ihre Marktstellung für überhöhte Preise missbraucht haben.

Genau das wird jetzt auch vermutet. Wo ist der Unterschied?

Im Kartellrecht müssten wir es zunächst mit marktbeherrschenden Unternehmen zu tun haben. Das übersehen im Moment viele. Auf den Energiemärkten gibt es aber eine große Anbietervielfalt. Wir haben in Deutschland über 1000 Stromanbieter und rund 1500 Versorger, die Gas und Wärme liefern. Die Bundesregierung hat uns jetzt allerdings mit einer ganz neuen und anderen Aufgabe beauf­tragt: einen Missbrauch der Preisbremsen für Strom, Gas und Fernwärme zu verhindern. Dabei geht es aber nicht unmittelbar um den Schutz des Wettbe­werbs oder der Verbraucher, sondern darum, den Staat und die Steuerzahler vor einer Plünderung der Staatskasse zu bewahren.

Ist die Preisbremse so anfällig für Subventionsbetrug?

Zumindest ist die Verlockung groß. Die Preise sind für die Kunden komplett gedeckelt, wenn sie nicht mehr als 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verbrauchen. Und da der Staat den Versorgern die Differenz zum tatsächlichen Preis erstattet, ergibt sich ein Anreiz, Preise stärker als notwendig nach oben zu schrauben. Die Kunden zahlen nur den gedeckelten Preis, haben also wenig Anreiz zu wechseln, und der Anbieter kann zulasten des Staates Extragewinne einstreichen. In einer so subventionierten Welt könnten sich beide Seiten wohlfühlen. Deshalb verlangt das Preisbremsen­Gesetz, dass Versorger ihre Preise nur im Einklang mit den Beschaffungskosten und regulatorischen Kosten wie Netzentgelten erhöhen dürfen.

Wie will das Kartellamt das kontrollieren?

Tatsächlich gibt es darüber einige Missverständnisse. Teils war sogar zu lesen, dass Versorger sich ihre Preiserhöhungen von uns genehmigen lassen müssen. Wir werden aber auch in Zukunft nicht zu einer Preisgenehmigungsbehörde. Ganz abgesehen davon, dass das bei rund 40 Millionen Stromverträgen und zwölf Millionen Gas­lieferverträgen vollkommen illusorisch wäre. Und es geht ja nicht nur um die Ver­braucherpreise, sondern wir müssen unser Augenmerk vor allem auch auf die Individualverträge der Versorger mit schätzungsweise über 50 000 verschiedenen Industriekunden richten. Unsere Aufgabe besteht darin, die wenigen schwarzen Schafe zu finden und herauszupicken.

Und dann gibt es Geld zurück?

Erst einmal würden dann zu Unrecht bezogene Subventionen für die Staatskasse zurückgefordert. Auch Geldbußen sind möglich. Mittelbar würde das auch die Verbraucherseite helfen. Sie könnte im Nachgang zu unserer Entscheidung Möglichkeiten ausloten, um Ansprüche zivilrechtlich geltend zu machen. Aber dafür müssten wir erst einmal fündig werden. Wegen der schieren Masse kön­nen wir uns nicht jede einzelne Preiserhöhung anschauen. Wir brauchen Anhaltspunkte, wo wir sinnvollerweise nachfragen und nachprüfen, um Verstö­ßen auf die Schliche zu kommen.

Geht es, wie bei der Aufdeckung von Preisabsprachen, vor allem um Hinweise von außen?

Auch. Tipps von Insidern könnten unsere Arbeit unterstützen. Unser anonymes Hinweisgebersystem im Internet wird uns auch bei der neuen Aufgabe helfen. Gleichzeitig entwickeln wir Konzepte und Methoden, wie wir das Geschehen am besten im Blick behalten und Auffälligkeiten finden können. Bei Verdachtsfällen werden wir zudem einfacher und schneller zu Durchsuchungen anrücken können als bei Hinweisen auf Kartellabsprachen.

Welche Schwerpunkte werden Sie setzen?

Genauer hinschauen wird man sicherlich dort, wo es um die größten Mengen und Beträge geht, wie etwa beim Energieverbrauch der Industrie. Ich erwarte, dass die energieverbrauchenden Unternehmen aufmerksam auf die Preispolitik ihrer Lieferanten achten werden. Wenn wir ein Verfahren einleiten, gilt außerdem die Beweislastumkehr: Die Versorger sind dann in der Pflicht, nachzuweisen, dass ihre Preiserhöhungen gerechtfertigt sind. Selbst das ist aber nicht pro­fan. Wir überlegen, Leitlinien zu entwickeln, wie solche Nachweise zu führen wären und welche Kosten wie einbezogen werden dürfen.

Die Preisbremsen sind bis Ende April 2024 angelegt. Kann die neue Kontrollabteilung dann wieder aufgelöst werden?

Nein, mit den anderthalb Jahren wird es bei uns nicht getan sein. Wenn wir einen Subventionsmissbrauch aufdecken, dann müssen die Verfahren zu Ende geführt werden. Natürlich sind unsere Entschei­dungen auch gerichtlich anfechtbar. Und es kann gut sein, dass manche dunkle Machenschaft erst im Nachhinein aufgedeckt wird. Im Energiehandel haben wir es mit hochkomplexen, internationalen Vorgängen zu tun, sodass die Ermittlungen und Verfahren sehr anspruchsvoll sein werden.

Wie weit sind die organisatorischen Vorbereitungen?

Für die neue Aufgabe haben wir eine Kartellabteilung umgewidmet und mit erfahrenen Energiefachleuten aus unserem Haus besetzt. Im Moment umfasst das Team eine nicht ganz zweistellige Zahl an Kolleginnen und Kollegen. Im Gesetz steht zwar, dass wir zusätzliche 18,5 Planstellen bekommen sollen. Aber weil der Haushalt 2023 schon fest gezurrt war, können diese frühestens im kom­menden Jahr besetzt werden.

Werden Sie die Abteilung bis dahin über­gangsweise weiter verstärken?

Wir werden trotz der außerordentlich schwierigen Aufgabe erst einmal mit der jetzigen Mannschaft auskommen müssen. Wir sind personell am Limit.

Müssen andere Aufgaben jetzt zurückstehen?

Das lässt sich noch nicht vollständig abschätzen. Aber klar ist, dass das eine oder andere Projekt, das wir gerne machen würden oder machen sollen, erst einmal nach hinten geschoben werden muss.

Helmut Bünder führte das Gespräch

Quelle: FAZ, 27.01.2023

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