"So verändert KI die Plattform-Ökonomie"
Künstliche Intelligenz kann die Plattform-Ökonomie massiv verändern. Wie und warum, erklärt Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamts.
Spannende Tage: Die OMR steht vor der Tür. Und in wenigen Tagen erwarten wir aus Brüssel Näheres zum AI Act (siehe Box). Das ist ein Gesetz, das den Umgang mit Künstlicher Intelligenz regelt.
Nicht nur der Verbraucherschutz steht im Mittelpunkt. Auch ein fairer Wettbewerb - damit nicht nur die großen Plattformen profitieren. Denn nur dann können Unternehmen und auch Agenturen Innovationen mit Hilfe von KI schaffen.
Künstliche Intelligenz kann die Plattform-Ökonomie massiv verändern. Wie und warum, erklärt Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamts.
Herr Mundt, welche Themen stehen für Sie im Zusammenhang mit der Digitalwirtschaft momentan im Vordergrund?
Das sind viele verschiedene Themen. Die Märkte rund um die Plattform-Wirtschaft und die Netzwerke sind äußerst dynamisch und Geschäftsmodelle verändern sich fortlaufend.
Derzeit wird sehr viel über die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz diskutiert. Vor einigen Monaten war das Metaverse in aller Munde. Das sind natürlich auch Themen für uns. Es stellt sich die Frage: Werden die bisherigen Spieler auch die künftigen Spieler sein? Und: Wie verschiebt sich die Plattform-Ökonomie?
Haben Sie schon eine vorläufige Antwort?
Netzwerkeffekte in Verbindung mit den Datenschätzen der großen Player haben bereits zu einer sehr weitgehenden Konzentration geführt. KI kann diesen Prozess weiter befeuern. Andererseits beobachten wir auch gewisse Verschiebungen. Die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer werden spezifischer. Facebook zum Beispiel ist längst keine Plattform mehr für alle. Junge Menschen gehen eher zu Tiktok und Instagram.
"Wir sehen momentan gerade mal die Anfänge der Möglichkeiten mit KI"
Zitat: Andreas Mundt
In den Diskussionen über die Folgen von KI hört man verstärkt Forderungen nach einer Regulierung. Selbst Google-Chef Sundar Pichai und Twitter-Chef Elon Musk fordern das. Brauchen wir aus Wettbewerbssicht eine Regulierung oder reichen die gesetzlichen Instrumente aus?
KI ist einerseits faszinierend und andererseits respekteinflößend. KI wird unser Leben verändern. Wir sehen momentan gerade mal die Anfänge der Möglichkeiten.
Unter wettbewerblichen Gesichtspunkten ist das ein hoch interessantes Thema. Denn was braucht man für KI? Ressourcen. Sowohl finanzielle als auch Daten – und zwar am besten in riesigen Mengen und hoher Qualität.
Wer hat Daten in diesem Ausmaß? Bei dieser Frage landen wir wieder bei den Unternehmen, die uns schon länger beschäftigen. Und dann stellt sich als nächster Schritt die Frage, ob die neuen Instrumente - der Paragraph 19a des GWB und der DMA auf europäischer Ebene - ausreichen, um das, was da kommt, für den Staat auch jenseits von Wettbewerbsaspekten noch fassbar zu machen.
§19 a GWB
Das Bundeskartellamt kann frühzeitig und wirksam eingreifen, wenn Unternehmen den Wettbewerb gefährden – aber nur, wenn das fragliche Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung hat. Das betrifft vor allem das Verhalten großer Digitalkonzerne. Grundlage ist der § 19a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Erst Anfang April dieses Jahres hat das Kartellamt festgestellt, dass Apple eine solche überragende marktübergreifende Bedeutung hat. Bereits auf der Liste stehen seit vergangenem Jahr Alphabet/Google, Meta/Facebook und Amazon. Seit 28. März prüft die Bonner Behörde, ob auch Microsoft auf die Liste muss. Im Januar 2021 wurde das GWB mit der 10. Novelle an die Digitalisierung angepasst. Auf Basis der neuen Vorschriften laufen bereits mehrere Verfahren, die sich gegen konkrete Verhaltensweisen richten. Betroffen sind unter anderem Google/Alphabet, Meta/Facebook und Amazon.
Und – reichen sie aus?
Ich bin mir nicht sicher. Auf europäischer Ebene wird gerade eine Regulierung entwickelt. Der Artificial-Intelligence-Act teilt Anwendungen in verschiedene Kategorien ein. Dieses Gesetz ist noch nicht fertig. Aber ich kann mir vorstellen, dass eine Regulierung diesmal schneller zustande kommt. In der Vergangenheit ist die Rechtsprechung der Entwicklung oft hinterhergehinkt.
AI Act
Die Europäische Kommission arbeitet an einem Gesetz für Künstliche Intelligenz namens AI Act. Letzter Stand: Es soll unterschieden werden, in erstens generative Basismodelle wie GPT-4 von OpenAI, LaMDA von Google und StableLM von Stability Ai. Und zweitens in allgemeine Künstliche Intelligenz, so genannte Artificial General Intelligence (AGI). GPT-4 zum Beispiel wäre demnach eine Unterkategorie von AGI. Die Kommission plant zudem die Einteilung in vier
verschiedene Risikostufen: 1) minimal, 2) begrenzt, 3) hoch, 4) inakzeptabel. Verhandelt wird seit 2021. Das Europäische Parlament stimmt am 11. Mai ab, Mitte Juni tagt der Europäische Rat. Danach muss das Gesetz von den Mitgliedsstaaten in ihre Rechtsprechung übernommen werden.
Warum ist KI überhaupt relevant für den Wettbewerb?
Die Gefahren sind offenkundig. Gerade datengetriebene Netzwerkeffekte können sich verstärken. KI eröffnet neue Möglichkeiten Daten zu verarbeiten und verknüpft diese auf neue Weise. Die Marktmacht der großen Player kann damit zunehmen.
Für andere Unternehmen können neue Abhängigkeiten entstehen und es bilden sich möglicherweise neue unverzichtbare Instrumente und bottlenecks durch die alle schlüpfen müssen.
Wenn man in einem KI-Universum unterwegs ist, braucht man dieses Universum nicht mehr zu verlassen. Es entstehen Lock-in-Effekte. Und es sind neue Arten der Manipulation möglich.
"Es sind neue Formen von Kartellbildung denkbar"
Zitat: Andreas Mundt
Zum Beispiel?
KI kann zu wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen beitragen und so zum Beispiel Preise und Konditionen koordinieren. Und das in unglaublicher Geschwindigkeit.
Wenn KI miteinander kommuniziert sind neue Formen von Kartellbildung denkbar. Dafür gibt es schon erste Beispiele.
Meinen Sie mit den Vereinbarungen eine Preissetzung durch die Maschine?
Ja, das ist eine der Möglichkeiten, die zu kollusiver Preisgestaltung beitragen kann. Kartelle durch Algorithmen sind bereits Realität. Im berühmten Poster-Fall in Großbritannien waren die Algorithmen so programmiert, dass sie den Preis des Wettbewerbers, mit dem eine Absprache bestand, nicht unterboten haben.
Es gibt aber auch Anekdoten, nach denen Preissetzungssoftware, die so konfiguriert ist, dass sie den Preis jeweils ein Stück über den Preis des Wettbewerbers setzt, in einer Art Ping-Pong- Reaktion schon zu schwindelerregenden Preisen geführt hat, was alles andere als clever war.
Heute agieren Maschinen viel intelligenter, und im Falle reiner Algorithmenkartelle, die auf parallelem KI-Einsatz basieren, könnte es weitaus schwieriger sein, Indizien zu wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen zu finden.
Poster-Fall
Dieser Fall stammt aus dem Jahr 2016. Damals verhängte die britische Wettbewerbsbehörde CMA eine Kartellstrafen gegen zwei Anbieter. Die beteiligten Unternehmen hatten die Preissetzung auf dem Amazon UK Marketplace über Algorithmen geregelt, so dass die Preise innerhalb kurzer Zeit in schwindelerregende Höhen stiegen.
Durch maschinelles Lernen entwickeln sich Algorithmen selbst weiter. Wie kann man es als Behörde überhaupt schaffen, diese Entwicklung zu kontrollieren?
Klar ist, dass sich ein Unternehmen seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf den Algorithmus entziehen kann. Nach dem Motto: Wir waren's nicht, das war die KI. Aber leicht wird das künftig nicht.
Kann ein Lehrer heute beurteilen, ob ein Aufsatz von ChatGPT geschrieben worden ist? Wahrscheinlich kaum noch. Wir haben uns übrigens hier im Amt versuchsweise mit ChatGPT unterhalten und sehr intelligente Antworten zu möglichen Wettbewerbsproblemen rund um Plattformunternehmen bekommen.
Am 28 März hat das Bundeskartellamt eine Prüfung eingeleitet, um zu ermitteln, ob Microsoft eine überragende marktübergreifende Bedeutung hat. Warum so spät? Immerhin sind Office, Teams, Azure, Linkedin und Bing nicht erst seit gestern unter einem Konzerndach.
Erstens ist das eine Ressourcen-Frage. Wir haben bereits Verfahren zur Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung nach § 19a GWB gegen Apple, Alphabet, Amazon und Meta eingeleitet und zum Teil abgeschlossen.
Außerdem: Wir haben sieben Verfahren wegen des Verhaltens dieser Unternehmen gestartet. In zwei davon konnten wir schon Veränderungen erwirken, eins ist bereits ganz abgeschlossen. Wir sind eine kleine Behörde mit wenigen Mitarbeitern. Das muss man sich immer vor Augen führen.
Abgesehen davon: Viele dieser Verfahren gehen nach ihrem Abschluss vor Gericht mit voller Wucht weiter. Zum Beispiel Amazon. Und: Mit Microsoft hat sich auch die Europäische Kommission schon mehrfach befasst. Da wir mit der Kommission kooperieren, haben wir nicht die zwingende Notwendigkeit gesehen, sofort zu handeln.
DMA
Europaweit kümmert sich die Kommission um Wettbewerbsverstöße. Gesetzliche Grundlage ist der Digital Markets Act (DMA). Er ist am 2. Mai 2023 in Kraft getreten. Der DMA reguliert das Verhalten bestimmter großer Digitalkonzerne mit Systemrelevanz, so genannter Gatekeeper. Insbesondere, was den Umgang mit Daten betrifft. Ergänzt wird der DMA durch den Digital Services Act (DSA), der weitere Regelungen für Anbieter von digitalen Diensten vorsieht.
Ist der Einstieg von Microsoft bei Open AI vergleichbar mit der Übernahme von WhatsApp durch Facebook im Jahr 2014?
Das ist eine gute Frage. Das kommt immer darauf an, wie man die Entwicklung prognostiziert. Das ist sehr schwer zu beantworten. Die Fälle lagen zwar aus Zuständigkeitsgründen nicht auf einem Bonner Schreibtisch aber Google / Doubleclick gehört für mich in die erste Reihe der Beispiele von Untersagungen, die es in der Fusionskontrolle leider nicht gegeben hat. An zweiter Stelle stehen für mich Facebook / Instagram und Facebook / WhatsApp.
Warum?
Das waren perfekte Ergänzungen. Aber das war damals nicht so offenkundig. Im Nachhinein ist man immer schlauer.
Heute sind wir in einer ähnlichen Situation. Mit den Schadenstheorien, die uns das Gesetz heute erlaubt, ist es sehr schwer, solche Vorgänge in den Griff zu bekommen. Im Grunde laufen diese Verfahren unter der Überschrift, dass ein Ökosystem weiter gestärkt wird. Das findet sich aber so nicht explizit im Gesetz – noch nicht.
Weil es im Gesetz nur um die Konsequenz, nämlich die Marktbeherrschung geht?
Ja. Und das trifft es hier nicht. Ein weiteres Beispiel: Meta hat Kustomer übernommen. Es geht um Customer Relationship Management. Auch hier hatten wir gesehen, dass wir diese Fusion mit dem bestehenden Gesetz nicht in den Griff bekommen. Denn es geht letztlich mal wieder um Daten und damit um eine Stärkung des Ökosystems.
Deshalb gibt es Überlegungen, ob wir die Fusionskontrolle aufbohren müssen, indem wir ein Kriterium jenseits der Marktbeherrschung einbringen. Das Stärken eines Ökosystems könnte zum Beispiel ein Grund sein, eine Fusion zu untersagen.
"Überlegungen, die Fusionskontrolle zu erweitern"
Zitat: Andreas Mundt
Die Konzerne sind sehr vielfältig aufgestellt. Google zum Beispiel mit Search und Maps, Amazon mit dem Marketplace und der Cloud. Betrachtet das Bundeskartellamt diese Konstrukte immer im Ganzen oder sind es bestimmte
Bereiche, die potenziell wettbewerbsgefährdend sind?
Es ist stets eine zweistufige Betrachtung unter § 19a GWB. Der erste Schritt ist die Identifizierung als Unternehmen von überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb – vereinfacht Ökosystem, das unter besondere Vorschriften fällt. Das sind Beschlüsse, die hunderte von Seiten lang sind. Das sind Gesamt-Schauen.
Im zweiten Schritt geht es um konkretes Verhalten. In diesen Verfahren bewerten wir, ob ein Verhalten, ein Instrument, ein Programm oder ein Service den Wettbewerb im Sinne der Norm gefährdet und zu untersagen ist.
Zum Beispiel?
Wir schauen uns gerade das Verhalten von Google im Bereich der Kartendienste an, insbesondere was die Möglichkeiten zur Einbettung und Behandlung von Google-Inhalten in Drittdiensten betrifft. Gegenüber dem europäischen DMA, der bewusst nur bestimmte Services erfasst, haben wir hier den Vorteil, dass wir uns auch andere Dienste anschauen können.
"Die Frage ist: Wen stärkt KI am Ende?"
Zitat: Andreas Mundt
Microsoft trainiert ChatGPT über den Swiftkey, eine Tastatur-App, die für iOS- und Android-Nutzer zur Verfügung steht. Damit trainieren Apple- und Alphabet-User die KI des Rivalen Microsoft.
Das belegt einmal mehr den Vorteil von großen Unternehmen, die bereits im Markt sind und mit den Daten arbeiten können. Die Frage ist: Wen stärkt KI am Ende? Die Hypothese ist: Die wettbewerblichen Unwuchten werden durch KI noch verstärkt – vielleicht sogar auf kurze Sicht.
Immer wieder taucht die Frage auf, ob man Konzerne wie Alphabet oder Meta zerschlagen müsste. Die Antwort des Bundeskartellamts ist, dass eine Zerschlagung unrealistisch ist, und dass es stattdessen eine innere Entflechtung braucht. Das heißt, ein Verbot der Zusammenführung von Nutzerdaten über Marken hinweg, ohne die Einwilligung der User. Ist solch ein Verbot in der Praxis angesichts von KI überhaupt umsetzbar oder kontrollierbar?
Das ist in den Gesprächen mit den Unternehmen immer ein ganz wichtiger Punkt: Wie stellen wir sicher, dass Vorgaben auch umgesetzt werden? Man kann hier auch an treuhänderische Lösungen denken. Da gibt es schon Möglichkeiten.
Tatsächlich haben wir eine solche innere Verflechtung bereits durchgesetzt. Bei der Nutzung von Oculus gibt es keine automatische Zusammenführung mit dem jeweiligen Meta-Account. Wir monitoren das. Und immerhin drohen hier sehr hohe Bußgelder.
"Es drohen sehr hohe Bußgelder"
Zitat: Andreas Mundt
Beim Thema Verbraucherschutz führt das Bundeskartellamt Sektoruntersuchungen durch. Wenn man sich diese näher anschaut, erkennt man Übereinstimmungen. Nämlich Indizien dafür, dass personenbezogene Nutzerdaten in verschiedenen Anwendungsbereichen intransparent genutzt, weiterverarbeitet und vielleicht sogar gehandelt werden. Ist dieses Thema auf der politischen Agenda?
Eindeutig angekommen ist die Botschaft jedenfalls bei der Europäischen Kommission. In den Rechtsakten, die den DMA ergänzen, spielt das Thema der Zusammenfassung von Daten eine große Rolle. Insbesondere im DSA ist eine ganze Reihe von verbraucherschutzrechtlichen Fragen geregelt und es wird darum gehen, wer das durchsetzen wird. Da sind wir gerade in Gesprächen. Über die datenbezogenen Rechtsakte aus Brüssel ist das Thema auch in Berlin nochmals präsenter geworden.
Wäre eine Sektoruntersuchung zum Thema Künstliche Intelligenz überhaupt möglich?
Das ist zu früh. Man kann dieses Thema nur schwer eingrenzen.
"Wir können in die tiefsten Tiefen der Unternehmen blicken"
Zitat: Andreas Mundt
Algorithmen können Einfluss auf den Wettbewerb nehmen. Müssen sie gegenüber Kartellbehörden offengelegt werden?
Ja, wenn wir den Verdacht haben, dass sie kartellrechtlich relevant sind. Das können wir verfügen. Wenn wir wollen, können wir in die tiefsten Tiefen der Unternehmen blicken.
Hat das Bundeskartellamt das Know-how dafür?
Wir haben in den letzten Jahren einige Data Scientists eingestellt. Und wir sind weiterhin auf der Suche. Die klassische Ausbildung zum Juristen oder Ökonomen muss ergänzt werden durch ITWissen. Wenn wir Untersuchungen durchführen, kommen wir in Büros, die so groß sind wie Turnhallen. Da sieht es aus wie bei James Bond Skyfall: Schreibtische mit Computern, an denen keine Menschen sitzen. Auch solche Räume müssen wir durchsuchen können. Und wir können
das!
Das Gespräch wurde geführt von Rolf Schröter.
Quelle: W&V vom 8. Mai 2023