Hintergrund Kabelnetzbetreiber
04.08.2004
I.
Das Bundeskartellamt beabsichtigt aufgrund des bisherigen Kenntnisstandes, dem Kabelnetzbetreiber Kabel Deutschland GmbH (KDG) den Erwerb der drei weiteren regionalen Kabelgesellschaften ish in NRW, KBW in Baden-Württemberg und iesy in Hessen zu untersagen. Das Amt hat dies den Beteiligten gestern (23.08.04) mitgeteilt. Die Untersagungsfrist endet am 7. Oktober 2004.
Mit dem Zusammenschluss käme das gesamte Breitbandkabel der Netzebene 3 in Deutschland – wie früher bei der Deutschen Telekom – wieder in eine Hand.
Die bisherige Prüfung hat ergeben, dass KDG dadurch auf dem Einspeisemarkt für Fernsehprogramme und den damit in Verbindung stehenden Dienstleistungen seine heute schon marktbeherrschende Stellung verstärken würde.
KDG hat bisher nicht nachgewiesen, dass es i.S. der sog. Abwägungsklausel nur durch den Zusammenschluss möglich wäre, auf anderen Märkten Verbesserungen von Wettbewerbsbedingungen zu erreichen, die die Nachteile der Verstärkung der Marktbeherrschung auf dem Einspeisemarkt überwiegen würden.
II.
Ich möchte Ihnen die Gründe für die beabsichtigte Untersagung im Einzelnen erläutern:
Zum Geschäftsmodell von KDG
Die Einspeisung von Rundfunksignalen erfolgt heute im wesentlichen beim Pay-TV digital, beim Free-TV analog. Für die Zukunft ist von der Umstellung des analogen Fernsehens auf digitale Technik auch für das Free-TV auszugehen. Diese Entwicklung findet unabhängig davon statt, wie viele Kabelnetzbetreiber den Anbietern von Inhalten gegenüberstehen. Die Übertragungskapazität im Kabel wird sich mit der Digitalisierung vervielfachen.
Um mit Analog-Fernsehgeräten digital gesendete Programme empfangen zu können, ist die Umwandlung der Signale erforderlich. Dazu bedarf es einer Set-TOP-Box.
Pay-TV-Programme werden heute vom Programmanbieter verschlüsselt. Zur Entschlüsselung und Umwandlung in analoges Fernsehen benötigen die Empfänger eine sog. Set-TOP-Box bzw. Decoder und zusätzlich eine Smart-Card für die Freischaltung.
Free-TV-Programme sind heute nicht verschlüsselt, denn erstes Ziel der Anbieter ist – auch aus werbewirtschaftlichen Gründen – möglichst alle Fernsehhaushalte zu erreichen.
KDG beabsichtigt, für das Pay-TV eine (zusätzliche) eigene Verschlüsselung vorzunehmen. Auch für das Free-TV soll eine Verschlüsselung eingeführt werden, die sog. Grundverschlüsselung. Die drei regionalen Kabelbetreiber ish, KBW und iesy planen dies bisher nicht.
Bei einer Grundverschlüsselung benötigt dann auch der Endkunde von Free-TV-Programmen für die Freischaltung eine Set-TOP-Box. Sie muss auf das Verschlüsselungssystem von KDG abgestimmt sein, ebenso eine dazu passende sog. Smart-Card.
Nach der Boxenstrategie von KDG müssen Boxenanbieter detaillierte Auflagen für Spezifikation und Zertifizierung erfüllen, bis hin zu Stromverbrauch und Seriennummern, so dass KDG jede Kundenbeziehung kontrollieren und eine Freischaltung von Programmen mit einer nicht in das KDG-Geschäftsmodell passenden Set-TOP-Box verhindern kann.
Die Grundverschlüsselung durch KDG soll nach Erklärung von KDG dem Schwarz-Fernsehen entgegenwirken. Sie zwingt den Free-TV-Anbieter allerdings, die Verschlüsselungsleistung auch gegen sein Interesse in Kauf zu nehmen; d.h. Verschlüsselung und Boxenstrategie (digitale Plattform) des Kabelbetreibers für Free-TV – aber auch für Pay-TV – werden praktisch Teil der vom Kabelbetreiber angebotenen Einspeiseleistung.
Ferner ist es erklärte Absicht von KDG, selbst im Pay-TV-Markt tätig zu werden. Zu diesem Zweck plant KDG, das bisherige Modell eines reinen Transports von Programmen in seinem Netz gegen entsprechende Einspeiseentgelte durch ein Vermarktungsmodell zu ersetzen. D.h. KDG kauft einzelne Inhalte, bündelt sie in Programmbouquets und baut selbst unmittelbare Beziehungen zum Endkunden auf.
Ein Ausbau des Pay-TV-Fernsehens ist nur möglich, wenn das Free-TV gegen das Interesse von Free-TV Programmanbietern zurückgedrängt werden kann. Dies wirft die Frage nach dem Verhältnis von Macht und Gegenmacht zwischen Netzbetreibern und Programmanbietern auf.
Die Marktmacht des Kabelnetzbetreibers wäre vergleichsweise begrenzt, wenn ein Programmanbieter problemlos auf einen anderen Übertragungsweg, insbesondere auf Satellitenfernsehen oder terrestrische Übertragung ausweichen könnte. Damit stellt sich die Frage der Marktabgrenzung.
Zur Marktabgrenzung
Aus Sicht des Programmanbieters kommt es für die Wirtschaftlichkeit, sprich Werbeeinnahmen – ganz entscheidend auf die technische Reichweite an. Die Ermittlungen des BKartA haben gezeigt, dass die Einspeisung in das Kabelnetz sowohl für den Pay-TV als auch den Free-TV-Bereich als komplementär zur Satellitenübertragung und gegebenenfalls Terrestrik anzusehen ist. Über das Breitbandkabelnetz (BKN) werden ca. 56 %, über Satellit ca. 39 % aller Fernsehhaushalte versorgt. Die möglichst vollständige Erreichbarkeit aller Zuschauer lässt einen Verzicht auf einen der Übertragungswege nicht zu.
Das Bundeskartellamt ordnet deshalb wie bisher BGH, Europäische Kommission und RegTP auch nach erneuter Überprüfung das Breitbandkabelnetz weiterhin einem eigenen sachlichen Markt zu.
In räumlicher Hinsicht bildet jedes Kabelnetz einen eigenen Markt. Auch an dieser Auffassung hält das BKartA nach Überprüfung fest.
Zur Marktbeherrschung
Als einziger Anbieter für die Einspeisung von Rundfunksignalen in ein Breitbandkabelnetz verfügt jeder Kabelnetzbetreiber über Marktmacht, wenn sein Verhaltensspielraum nicht durch Wettbewerber oder Programmlieferanten, d.h. durch Gegenmacht, hinreichend kontrolliert werden kann.
Für KDG gibt es zwar begrenzten potentiellen Wettbewerb aber keine wirksame Kontrolle durch horizontalen Wettbewerb, d.h. andere Kabelnetzbetreiber.
Auch die Programmveranstalter, wenngleich selbst oft in einer starken Marktstellung gegenüber den Endkunden, können keine hinreichende Gegenmacht ausüben. Dazu nur ein paar Beispiele:
So gibt es kein einheitliches Auftreten aller Sendergruppen.
Sie haben gegenüber KDG keinen erheblichen Einfluss auf das technische „Ob“ und das „Wie“ des Netzzugangs.
Es hängt wesentlich nur vom KDG ab, wann und mit welchem Modell das Unternehmen von der analogen auf die digitale Übertragung umstellt.
Die Programmanbieter können KDG nicht an der Grundverschlüsselung für Free-TV hindern, obwohl sie dadurch zunächst Reichweite verlieren.
Zusammenfassend bedeutet das, dass KDG eine marktbeherrschende Position hat.
Zur Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung
4.1. Mit der von KDG verfolgten Boxenstrategie, sowie dem eigenen Verschlüsselungssystem kann KDG ein Geschäftsmodell durchsetzen, mit dem sie als Kabelmonopolist ihren vom Wettbewerb nicht kontrollierten Verhaltensspielraum weiter ausbaut.
Es ist davon auszugehen, dass KDG nach einem Zusammenschluss dieses Geschäftsmodell auch in den zur Zeit von ish, KBW und iesy versorgten Regionen anwenden wird.
Im Pay-TV-Markt ist damit eine wesentliche Verschlechterung der Einspeisebedingungen zu erwarten. Denn heute gibt es bei den Kabelgesellschaften unterschiedliche Geschäftsmodelle. So sind z.B. bei ish die Einspeisebedingungen günstiger, auch verfolgen ish, iesy und KBW nur zurückhaltend die Strategie, das eigene Netz für eigene Pay-TV-Interessen zu nutzen.
Sie planen auch nicht prinzipiell eine Grundverschlüsselung des Free-TV.
Ish verfügt zwar über eine eigene digitale Plattform, doch handelt es sich hier um eine offene Plattform, bei der die transparente Durchleitung von Pay-TV-Signalen möglich ist.
Bei ish ist die digitale Plattform also nicht, wie von KDG geplant, ein zwingender Teil der Einspeiseleistung.
4.2. Eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von KDG ergibt sich auch aus der Reichweitenausdehnung auf nahezu alle Kabel-Fernsehhaushalte, d.h. von ca. 10 auf ca. 17 Millionen. So gerieten z.B. die Fernsehsender in eine noch stärkere Abhängigkeit, z.B. bei der Frage über Dauer und Umfang der Umschaltung von analogem auf digitales Fernsehen.
Auch im Hinblick auf die Höhe der Einspeiseentgelte würde die Verhandlungsmacht von KDG ansteigen, denn sie wäre der einzige Anbieter für Einspeiseleistungen im Kabelmarkt. Schon heute spielt die Größe des Kabelnetzbetreibers aber eine wesentliche Rolle für die Höhe der Einspeiseentgelte.
4.3. Mit der Übernahme der an das Kabelnetz von KDG angrenzenden drei Kabelgesellschaften, würde ferner der besonders zu schützende Restwettbewerb in Form potentiellen Wettbewerbs wegfallen.
Das gilt insbesondere für ish, denn diese Gesellschaft ist aufgrund einer vorhandenen Installation durchaus in der Lage, Rundfunksignale bundesweit über einen Satelliten zu verteilen und könnte mit dem Aufbau von Kopfstationen und dem Erwerb von NE-4 Netzen im KDG-Gebiet durchaus mit KDG in – wenn auch begrenzten – Wettbewerb treten.
Auch die prinzipiell mögliche Durchleitung von Rundfunksignalen könnte die Kabelgesellschaften in ein Wettbewerbsverhältnis bringen. Dass die Durchleitung nicht nur ein theoretisches Modell ist, belegt die Praxis der Medien-Service-Gesellschaft (MSG), die z.B. die Durchleitung der analogen und digitalen Signale in das Netz von ish, iesy und KBW zur Zeit im Innenverhältnis von den Programmanbietern „einkauft“.
Zur eventuellen Verbesserung von Wettbewerbsbedingungen auf anderen Märkten (sog. Abwägungsklausel)
Von KDG angeführt wurden der Markt für breitbandigen Internet-Zugang und der Endkundenmarkt für Pay-TV.
5.1. Auf dem Markt für breitbandigen Internet-Zugang ist die Deutsche Telekom AG marktbeherrschend, das gilt auch für die breitbandige Nutzung des Internet. Für das Angebot eines schnellen Internet-Zugangs ist es nicht erforderlich, über das gesamte Breitbandkabelnetz in Deutschland zu verfügen. Das vorgetragene Argument nur bei bundesweiter Werbung lasse sich schneller Internetzugang anbieten, überzeugt nicht.
In diesem Zusammenhang möchte ich insbesondere festhalten, dass die Aufrüstung des Kabels der kleineren Netzgesellschaften, selbst auf eine Bandbreite von 862 MHz, nicht nur prozentual, sondern auch in absoluten Größen schon heute zum Teil erheblich über dem liegt, was von Seiten KDG bisher unternommen wurde.
Auch die Nutzung des BKN für schnellen Internetzugang und Telefonie sind entschieden weiter gediehen als bei KDG.
KDG hat bisher weder signifikante Aktivitäten in diesen Märkten gezeigt, noch sind die Darlegungen für solche Aktivitäten für die nahe Zukunft belastbar belegt worden. Aussagen von KDG zur Wirtschaftlichkeit und der Kapitalverfügbarkeit zwecks Netzaufrüstung sowie der in der Presse zitierte Emissionsprospekt von KDG weisen nicht in diese Richtung.
Dies widerlegt den Irrglauben, dass nur ein Netzmonopolist Fortschritte in der medialen Nutzung bringt. Der technische Fortschritt wird durch den Wettbewerb von verschiedenen Geschäftsmodelle der kleineren Netzbetreiber vorangetrieben und nicht vom Größten im Markt und schon gar nicht von einem Monopol.
5.2. Auch auf dem Endkundenmarkt für Pay-TV ist bislang keine Verbesserung von Wettbewerbsbedingungen von KDG belegt worden, die nur mit dem Zusammenschluss zu erreichen wäre und den Nachteil der Verstärkung der Marktbeherrschung auf dem Einspeisemarkt überwiegen würde.
Zwar wird der Pay-TV-Markt in Deutschland heute von Premiere beherrscht. Um hier durch KDG eine Konkurrenzbeziehung aufzubauen, bedarf es aber nicht des Zusammenschlusses aller Kabelgesellschaften zu einem einzigen Kabelnetzbetreiber. KDG könnte das Ziel eines bundesweiten Angebotes von Pay-TV auch auf andere Weise erreichen, z.B. durch den Einkauf von Einspeiseleistung.
Auch Premiere verfügt heute nicht über ein bundesweites BKN und ist dennoch bundesweit tätig.
Im übrigen beabsichtigt KDG – wie ich schon ausführte – Premiere nach Ablauf der Verbreitungsverträge nur noch das Vermarktungsmodell anzubieten. Mit dessen Verwirklichung käme es nicht zu einem Wettbewerb um die Endkunden zwischen Premiere und KDG. Vielmehr würde ausschließlich die KDG in ihrem Netz – bei einem Zusammenschluss dann bundesweit – im Bereich Pay-TV tätig sein. Premiere wäre auf das Satellitengeschäft angewiesen.
Das von KDG verfolgte Geschäftsmodell verdeutlicht die wettbewerblichen Gefahren, die mit einem vertikal integrierten Kabelnetzbetreiber verbunden sind, von dessen Infrastrukturleistung die Wettbewerber abhängig sind. Der Vergleich zu den Netzmonopolen der integrierten Strom- und Gasversorger liegt auf der Hand. Niemand würde wohl wünschen, das gesamte Stromverbundnetz in die Hand eines Betreibers zu geben.
Fazit
6.1. Der Zusammenschluss zu einem nationalen BKN würde zur Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von KDG auf dem Einspeisemarkt führen, und wäre daher nicht genehmigungsfähig.
6.2. Angesichts einer faktisch nicht offenen, sondern von KDG beherrschten digitalen Plattform und der im Verhältnis zu den kleineren regionalen Netzbetreibern weit geringeren Aktivität von KDG in Sachen Netzaufrüstung und Nutzung der medialen Möglichkeiten des BKN, käme es nicht zu einem technischen Durchbruch wie Befürworter der Fusion meinen. Eher wäre sogar ein Bremseffekt zu erwarten. Auch die Entwicklung intelligenter Dekoder ist nicht naheliegend, der Einheitsdekoder aber sehr wahrscheinlich.
6.3. Die Digitalisierung der Netze hängt nicht vom Zusammenschluss ab. KDG kann auch ohne Zusammenschluss ins Pay-TV-Geschäft einsteigen und den heutigen Programmanbietern Konkurrenz machen, wenn die digitalen Plattformen offen sind und die Durchleitung durch die Netze gewährleistet ist. Auch den kleineren Programmanbietern böten sich damit neue Geschäftsmöglichkeiten.
6.4. Mit dem Zusammenschluss vertan wäre letztlich auch die Chance, die marktbeherrschende Stellung der Deutschen Telekom beim schnellen Internet-Zugang und in der Telefonie aufzubrechen, da – anders als es z.B. KBW plant – hier kein aktiver Wettbewerbsvorstoß von KDG anzunehmen ist.
Die am Zusammenschluss Beteiligten (und Beigeladenen) haben Gelegenheit, zu den Darlegungen des Bundeskartellamtes bis zum 8. September 2004 Stellung zu nehmen. Das BKartA wird unter Beachtung der Stellungnahmen bis zum 7. Oktober 2004 endgültig entscheiden.