Dr. Ulf Böge Präsident des Bundeskartellamtes Statement zur Pressekonferenz am 21. Dezember 2004 „Jahresrückblick“

21.12.2004


1.         Für das Bundeskartellamt war 2004 ein arbeitsreiches aber auch ereignisreiches Jahr. Ob Fusionskontrolle, Kartellbekämpfung oder Miss­brauchsaufsicht: Das Amt hatte wichtige Entscheidungen zu treffen.

 

Es war aber gleichzeitig darin engagiert, die europäische und internationale Kooperation der Wettbewerbsbehörden zu vertiefen und zum Vorteil der Verbraucher auch hier in Deutschland bei Gesetzesnovellierungen auf die weitere effektive Durchsetzung des Wettbewerbsprinzips hinzuwirken.

 

2.         Im Bereich der Fusionskontrolle bewegte sich die Zahl der Anmeldungen im laufenden Jahr zwar mit gut 1300 auf dem Niveau des Vorjahres. Allerdings waren 11 Zusammenschlussvorhaben zu unter­sagen. 2002 waren dies lediglich 5, 2003 sogar nur 2 Fälle gewesen.

 

Wie in den Vorjahren auch, haben Unternehmen ihr Fusionsvorhaben in zahlreichen Fällen im Vorfeld aufgegeben oder modifiziert, um eine Untersagung zu vermeiden.

 

Zu den wichtigsten Entscheidungen des Amtes gehörte es zweifellos, die Verstärkung markt­beherrschender Stellungen im BKN-Markt und auf dem Berliner Zeitungsmarkt zu verhindern. Ob die geplante Änderung des GWB im Pressemarkt zu einem anderen Ergebnis führen wird, bleibt abzuwarten.

 

3.         Die Bekämpfung von Kartellabsprachen gehörte auch 2004 wieder zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit.

 

Das BKartA hat im ablaufenden Jahr elf nationale Durchsuchungen bei insgesamt 154 Unternehmen und Privat­wohnungen durchgeführt. Zu den betroffenen Branchen zählten u.a. die Bau­wirtschaft und die Papierindustrie.

 

Aufgrund von Informationen aus dem Kartellverfahren im Vorjahr gegen Unternehmen der Zementindustrie hat das Amt darüber hinaus gegen rund 70 Hersteller von Transportbeton Bußgeldverfahren eingeleitet.

 

Ferner hat das Amt im Mai wegen Preisabsprachen im Papier­großhandel Bußgelder in Höhe von 57,6 Mio. Euro verhängt. In der überwiegenden Zahl ist allerdings Einspruch eingelegt worden, so dass sie noch nicht rechtskräftig geworden sind.

 

Das Kartell­verfahren wegen vermuteter Absprachen bei Industriever­siche­rungen wurde im Mai auf weitere Unternehmen ausgedehnt. Ich gehe davon aus, dass die Auswer­tungen im nächsten Jahr abge­schlossen werden können.

 

Eine wichtige Entwicklung hat sich in der Ent­sor­gungswirtschaft ergeben. Mit dem Aufbrechen der kartellartigen Gesellschafterstruktur des Dualen Systems besteht erstmals eine echte Chance, dass sich auf dem Markt für das Sammeln und Verwerten von Verkaufsverpackungen Wettbewerb entwickeln kann. Allein der Übergang zu einem Ausschrei­bungssystem der Leistungsverträge hatte zu einer Ersparnis der Entsorgungskosten von über 200 Mio. € geführt.

 

4.         Im Bereich der Missbrauchsaufsicht ging das Amt

 

-           gegen die Deutsche Post wegen der Marktzu­trittsbehinderung von Unternehmen auf dem Markt für sog. postvorbereitende Leistungen vor;

-           es hatte zu prüfen, ob die Streichung der Provisionen für Reisebüros durch die Deutsche Lufthansa rechtens war – was unter Beachtung von Kündigungsfristen nicht zu beanstanden war – und

-           das Amt leitete Verfahren gegen Energiever­sorgungs­unter­nehmen ein.

 

Ich will in diesem Zusammenhang etwas näher auf den Gasbereich eingehen.

 

Es gibt drei Faktoren, die einem wirksamen Wett­bewerb entgegenstehen:

 

(1.)      In praktischer Hinsicht kann ein privater Ver­braucher sein Gaslieferunternehmen wegen des Netzmonopols nicht wechseln, d.h. es gibt keinen Durchleitungswett­bewerb.

 

Hier hat es der Gesetzgeber in der Hand, mit der Novellierung des EnWG diese Situation zu ändern, indem er einen diskriminierungsfreien Netzzugang ein­schließlich angemessener Netz­nutzungs­entgelte garantiert.

 

(2.)      Solange fast alle Gasbezugsverträge zu 80 % und mehr den Bedarf eines Verteilerunter­nehmens langfristig ab­decken, gibt es einen Marktver­schließungs­effekt, der den Wettbewerb unzu­lässig beschränkt.

 

Das Amt hat deshalb gegen 16 Gasversorgungsunter­nehmen, darun­ter E.ON/Ruhrgas, RWE, Wingas und VNG, Verfahren eingeleitet, die im kommenden Jahr abgeschlossen werden.

 

(3.)      Bei Gaspreiserhöhungen berufen sich fast alle Gasversorger auf das Prinzip der Kopplung des Gaspreises an die Entwicklung des Ölpreises.

 

Für die privaten Haushalte ist dies ein völlig intransparentes System, da sie weder wissen, wie sich die Gasbezugspreise ihres Lieferanten verändert haben, noch auf welchen Ölpreis Bezug genommen wird. Und sie können auch nicht nachrechnen, ob im Falle sinkender Ölpreise ihre Gaspreise entsprechend reduziert werden.

 

Möglicherweise ist das System der Preiskopp­lung auf der Letztverteilerstufe in sich kartell­rechtlich bedenklich, wenn es die Basis für ein missbräuchliches Verhalten legt.

 

Das Bundeskartellamt hat in den letzten Wochen Ermittlungen über die Preis­erhöhungen und Ankündigungen von solchen Erhöhungen durch­geführt.

 

Es hat in diesem Zusammenhang am 17. Dezember 2004 gegen fünf Unternehmen der Gaswirtschaft, nämlich die Mitteldeutsche Gasversorgung GmbH MITGAS (RWE), MVV (Mannheim), Stadtwerke Ulm, Thüga Erdgas Allgäu-Oberschwaben (E.ON) und EnBW Ostwürrtemberg Donau/Ries (ORD) förmliche Untersagungsverfahren wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Gaspreise eingeleitet.

 

Die betroffenen Unternehmen zählen im Vergleich zu den teuersten Gasversorgern im Zuständigkeitsbereich des Bundes­kartellamtes.

 

Das Bundeskartellamt wird in den Verfahren prüfen,

 

·          ob diese Unternehmen, die binnen sechs Monaten zum Teil Erhöhungen bis zu 0,6 ct/kwh bzw. 14 % angekündigt und teilweise schon realisiert haben, lediglich erhöhte Bezugskosten weitergegeben,

·          ob sie in der Vergangenheit auch Rück­gänge der Bezugskosten berücksichtigt und

·          ob sie Doppel­effekte der Energiesteuer bei ihren Kunden ausgeglichen haben.

 

 

Vier andere Gasversorger, das sind E.ON-Hanse, E.ON-Westfalen Weser, SWB und EWE haben teilweise das Bundeskartellamt bereits im informellen Vor­verfahren darüber informiert,

 

·          beabsichtigte Preiserhöhungen zu redu­zieren (um bis zu zwei Drittel) bzw. in der laufenden Heizperiode keine weiteren Erhöhungen durchzuführen und

·          Rück­erstattungen an die Gaskunden vorzu­nehmen, wenn sich im Herbst 2005 herausstellt, dass die Erlöse aus den Preiserhöhungen über den tatsächlichen Gasbezugs­kostensteigerungen gelegen haben.

 

Aus diesem Grund und weil die betreffenden Gasversorger im Vergleich nicht zu den teuersten Anbietern gehören, hat das Bundes­kartellamt in diesen Fällen davon abgesehen, förmliche Verfahren einzuleiten.

 

5.         Was die Entwicklung der europäischen Wettbe­werbsordnung anbelangt, begann seit dem 1. Mai 2004 in der grenzüberschreitenden Kartellbe­kämpfung eine neue Zeitrechnung.

 

Zum 1. Mai ist die neue europäische Kartellrechts­verordnung (VO 1/2003) in Kraft getreten. Mit ihr wurde ein Netzwerk der Wettbewerbsbehörden in der EU etabliert.

 

Es besteht seitdem die Möglichkeit, zwischen den 26 europäischen Wettbewerbsbehörden selbst vertrau­liche Daten auszutauschen und sich bei Ermitt­lungsverfahren in jeder Hinsicht gegenseitig zu unterstützen.

 

In ein gemeinsames Intranet werden alle Fälle eingestellt. Es sind bereits knapp 300.

 

6.         Wir werden es angesichts der Globalisierung aber nicht bei der vertieften Zusammenarbeit in der EU belassen können.

 

Ich gehe davon aus, dass die Phase der Zurück­haltung im Geschäft mit Fusionen und Beteiligungen (Mergers and Aquisitions) die Talsohle durchschritten hat. International sind erste Klimmzüge zu neuen Mega-Fusionen zu beobachten. Der deutsche Markt wird davon nicht berührt bleiben.

 

Nun sind wir in Deutschland wie in der EU zwar mit einem Instrument der Fusionskontrolle gut gerüstet, um unerwünschte Marktmacht zu stoppen. Aber für eine effektive und effiziente Kontrolle – auch im Sinne der Unternehmen – ist, ebenso wie bei der Kartell­bekämpfung, die multilaterale Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden weltweit unerlässlich.

 

Das Bundeskartellamt hat hier in den letzten fünf Jahren einen seiner Aufgabenschwerpunkte gesehen.

 

Mit der Übernahme des Vorsitzes im International Competition Network (ICN), in dem die Wettbewerbsbehörden von 76 Ländern der Welt vertreten sind, kann das Amt seine Erfahrungen im Wettbewerbsbereich verstärkt einbringen.

 

Vom 6. – 8. Juni 2005 werden wir den vierten Weltkongress des International Competition Network in Bonn ausrichten. Und ich meine, wir können auf diese Anerkennung stolz sein.

 

Die – ob in China, Indonesien und sonst wo – anerkannte deutsche Wettbewerbsordnung ist ein nicht zu unterschätzender Standortvorteil für deutsche Unternehmen.

 

Diesen Vorteil  werden wir aber nur erhalten können, wenn wir das Wettbe­werbsprinzip im eigenen Lande hochhalten. Die Rolle des Bundeskartellamtes ist hierbei die des Wächters und Mahners zugleich.

 

Das Bundeskartellamt wird deshalb die Vorschriften des Kartellgesetzes weiterhin ohne Abstriche durchsetzen.

 

Es wird seine Sachkenntnis aber auch in die Umsetzung der europäischen Richtlinien und die Novellierungen des Gesetzes gegen Wettbewerbs­beschränkungen sowie des Energiewirtschafts­gesetzes einbringen.