Bundeskartellamt untersagt Fusion Springer/ProSiebenSat.1
24.01.2006
Das Bundeskartellamt hat den Zusammenschluss der Axel Springer AG („Springer“) mit der ProSiebenSat.1 Media AG („ProSiebenSat.1“) untersagt. Nach Kartellamtspräsident Böge würde der Zusammenschluss auf dem Fernsehwerbemarkt, dem Lesermarkt für Straßenverkaufszeitungen sowie dem bundesweiten Anzeigenmarkt für Zeitungen zu einer nach dem Kartellrecht nicht genehmigungsfähigen Marktmacht führen.
Auf dem Fernsehwerbemarkt verfügen nach den Feststellungen des Bundeskartellamts ProSiebenSat.1 und die zu Bertelsmann gehörende RTL-Sendergruppe mit einem seit Jahren konstanten Marktanteil von jeweils ca. 40 % über eine gemeinsame marktbeherrschende Position, ein sog. „wettbewerbsloses Duopol“ ohne wesentlichen Wettbewerb durch Außenseiter. Durch den Zusammenschluss käme es zu einer weiteren Angleichung der unternehmensbezogenen Strukturmerkmale beider Konglomerate auf den benachbarten Zeitungs- und Zeitschriftenmärkten sowie zu einer Reihe von Verflechtungen zwischen Springer/ProSiebenSat.1 und Bertelsmann. Dies würde zu einer weiteren Absicherung und damit zur Verstärkung des Duopols führen. Die Verflechtungen betreffen im Einzelnen gemeinsame Minderheitsbeteiligungen von Springer und Bertelsmann an mehreren privaten Hörfunksendern wie Radio Hamburg und Antenne Bayern und Pressevertriebsunternehmen wie z.B. in Leipzig, Dresden, der Pfalz und in Berlin sowie die gemeinsame Beherrschung des Tiefdruckunternehmens Prinovis. Weiter entfiele durch den Zusammenschluss die Randsubstitution durch die BILD - Zeitung, die gegenwärtig für Werbekunden die einzige wirtschaftliche Alternative zur bundesweiten Fernsehwerbung darstellt.
Auf dem bundesweit abzugrenzenden Lesermarkt für Straßenverkaufszeitungen würde der Zusammenschluss zu einer Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von Springer führen. Der Verlag hat auf diesem Markt mit der BILD – Zeitung einen Marktanteil von ca. 80 %. Durch den Zusammenschluss erhielte Springer die Möglichkeit, die Stellung der BILD durch werbliche und publizistische medienübergreifende Unterstützung (crossmediale Promotion) weiter abzusichern und damit zu verstärken.
Schließlich würde der Zusammenschluss auch zu einer Verstärkung der Marktstellung von Springer auf dem bundesweiten Anzeigenmarkt für Zeitungen führen. Dem Springer-Verlag kommt hier mit BILD und Welt bereits heute eine überragende Marktstellung mit rund 40 % Marktanteil zu. Springer erhielte durch die Fusion die Möglichkeit, Werbekampagnen für Produkte abgestimmt über mehrere Medien aus einer Hand anbieten zu können und so crossmediale Werbekampagnen für Dritte zu schalten. Dies würde die marktbeherrschende Stellung von Springer auf dem Anzeigenmarkt für Zeitungen weiter absichern.
Die Zusammenschlussbeteiligten hatten im Laufe des Verfahrens eine Reihe von Auflagenvorschläge gemacht, um eine kartellrechtliche Freigabe zu erreichen.
Im Einzelnen hatte Springer zunächst eine Reihe von Lizenzauflagen angeboten. Hierzu gehörte beispielsweise die Verpflichtung, keine Programminhalte unter Verwendung der Marke BILD zu gestalten oder die Verpflichtung, die TV-Werbezeit der ProSieben/Sat.1-Programme getrennt vom Anzeigenangebot von Springer zu vermarkten. Die Kontrolle der Einhaltung dieser Verpflichtungen sollte den Landesmedienanstalten im Rahmen ihrer Lizenzaufsicht obliegen. Kartellamtspräsident Böge: „Bei diesen Lizenzauflagen handelt es sich um Verhaltenszusagen, die einer laufenden Verhaltenskontrolle bedürfen und daher nach dem Kartellgesetz nicht zulässig sind.“
Springer hatte darüber hinaus angeboten, seine Beteiligungen an dem Tiefdruckunternehmen Prinovis sowie an denjenigen Hörfunksendern und Pressevertriebsunternehmen zu veräußern, an denen gleichzeitig Bertelsmann beteiligt ist. Weiter bot Springer an, zusätzliche Geschäftsbereiche und Beteiligungen an Programmzeitschriften, weiteren Zeitschriften und Zeitschriftenverlagen, Hörfunk- und Ballungsraumfernsehsendern, Anzeigenblättern und Onlineunternehmen zu veräußern. Springer war nach dem Kaufvertrag verpflichtet, diese Geschäftsbereiche und Beteiligungen im Rahmen des Zusammenschlussverfahrens anzubieten. Diese strukturellen Maßnahmen hätten zwar dazu geführt, dass es zu keinen zusätzlichen Verflechtungen zwischen den Duopolmitgliedern kommt. Im Ergebnis wäre es im Vergleich zur heutigen Situation dennoch zu einer Verstärkung des Duopols gekommen, wenn auch im Vergleich zum Vorhaben ohne Auflagen zu einer geringeren.
Kurz vor Ablauf der Prüfungsfrist hatte Springer schließlich den Vorschlag in das Fusionsverfahren eingebracht, den Sender ProSieben zu veräußern. Das Bundeskartellamt hatte diesen Vorschlag unter der Voraussetzung akzeptiert, dass ProSieben vor Vollzug des Zusammenschlusses veräußert und der Sender aus der Werbezeitenvermarktung durch die SevenOne Media – einer ProSiebenSat.1-Tochter – herausgelöst werde. Durch das Herauslösen des Senders ProSieben aus dem Erwerbsobjekt wäre auf dem Fernsehwerbemarkt, der heute durch ein wettbewerbsloses Duopol gekennzeichnet ist, eine wesentliche Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen erreicht worden. Zwar wäre auch nach dem Verkauf von ProSieben an einen Dritten eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von Springer auf dem Lesermarkt für Straßenverkaufszeitungen und dem Anzeigenmarkt in abgeschwächter Form eingetreten. Die bewirkten Verbesserungen auf dem Fernsehwerbemarkt hätten nach Auffassung des Bundeskartellamtes aber die Verschlechterungen auf den betroffenen Leser- und Anzeigenmärkten überwogen.
Das Bundeskartellamt hatte den Beteiligten daher signalisiert, dass eine Freigabe des Zusammenschlusses unter der aufschiebenden Bedingung der Veräußerung von ProSieben in Betracht käme. Kartellamtspräsident Böge: „Dies hätte bedeutet, dass die Zusammenschlussbeteiligten ohne zeitlichen Druck Verhandlungen über die Veräußerung des Senders ProSieben hätten führen können, und dass die Freigabe zu dem Zeitpunkt wirksam geworden wäre, in dem die Bedingung erfüllt worden wäre.“
Gemessen an den Fernsehwerbeerlösen wäre durch den Verkauf von ProSieben der Umfang des Erwerbsobjekts um fast die Hälfte verringert worden.
Eine Veräußerung nach Vollzug des Zusammenschlusses hatte das Bundeskartellamt von vorneherein abgelehnt, da es bei ProSieben um einen wesentlichen Kern des Zielobjektes ging. Eine Auflage – und damit ein Vollzug mit seinen wettbewerbsschädlichen Auswirkungen –kam in einem solchen Fall nicht in Frage. Denn dies hätte zur Folge gehabt, dass zunächst auf unbestimmte Zeit kartellrechtlich unzulässige Marktstrukturen geschaffen worden wären. Dies wäre selbst in der Konstellation der Übertragung „für eine juristische Sekunde“ der Fall gewesen, da dies in Verbindung mit etwaigen längerfristigen – jedenfalls bis Januar 2007 dauernden – Treuhänderlösungen zu enormen wettbewerblichen Risiken geführt hätte. Es wäre nicht auszuschließen gewesen, dass es bis zur Erfüllung der Auflage zur Überleitung der den wirtschaftlichen Wert des Senders ProSieben begründenden und seine Wettbewerbsposition ausmachenden Faktoren, wie etwa personelle Ressourcen (z.B. Redaktionen, Fernsehwerbevermarktung für ProSieben) hin zu den verbleibenden Sendern der P7S1 gekommen wäre. Der Sender ist organisatorisch stark in die P7S1-Sendergruppe eingebunden. Die Vermarktung und der Rechteeinkauf erfolgen derzeit zentral. Der Sender ist Bestandteil des Konzepts aller P7S1-Sender. Wäre der Verkauf von ProSieben - aus welchen Gründen auch immer - im Ergebnis gescheitert, hätte sich ein aufwändiges Entflechtungsverfahren angeschlossen, um die entstandenen kartellrechtlich unzulässigen Strukturen wieder zu beseitigen.
Nur vier Tage, nachdem Springer den Verkauf von ProSieben angeboten hatte, nahm der Verlag diesen Vorschlag wieder zurück, da eine verlagsinterne Prüfung zum Ergebnis geführt hatte, dass ein Verkauf des Senders ProSieben vor Vollzug der Übernahme nicht in Betracht komme.