Maßnahmen zur Krisenbewältigung in der Automobilindustrie – Bundeskartellamt unterstützt VDA bei der Erarbeitung der kartellrechtlichen Rahmenbedingungen
09.06.2020
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat dem Bundeskartellamt Maßnahmen zur Bewältigung der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Schwierigkeiten in der Branche vorgestellt. Das Bundeskartellamt hat die vorgestellten Maßnahmen mit dem VDA erörtert und im Rahmen seines Aufgreifermessens entschieden, derzeit von einer vertieften kartellrechtlichen Prüfung abzusehen. Das Bundeskartellamt hat die Europäische Kommission über die Gespräche mit dem VDA und seine Einschätzung des Vorhabens informiert.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Wir unterstützen Initiativen zur Krisenbewältigung im Rahmen des Kartellrechts. Zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie plant die Automobilindustrie eine Reihe von Maßnahmen. In den komplexen Lieferketten kann der Ausfall einzelner Lieferanten das Wiederanlaufen der Produktion bei vielen Zuliefer-Unternehmen und Herstellern erheblich verzögern und so den wirtschaftlichen Schaden weiter erhöhen. Zur Lösung solcher Probleme kann koordiniertes Vorgehen in einer Branche gerechtfertigt sein. Solche Maßnahmen müssen sich aber an kartellrechtliche Vorgaben halten und zeitlich klar begrenzt sein.“
Die vom VDA vorgestellten Maßnahmen enthalten zum einen Rahmenbedingungen für die Wiederaufnahme der Automobilproduktion und zum anderen ein Modell für die Restrukturierung von Zuliefer-Unternehmen.
Der VDA möchte Informationen, wie Wiedereröffnungszeiten der KFZ-Hersteller und der Zuliefer-Unternehmen, sowie einen Best Practice-Leitfaden veröffentlichen, der Möglichkeiten zur Vermeidung der Fehlleitung von Ressourcen bei Kapazitäts-Knappheit aufzeigt.
Das vorgestellte „Corona-Restrukturierungsverfahren“ soll für während der Corona Pandemie in die Krise geratene Unternehmen eine zügige Restrukturierung ermöglichen. Im Zentrum stehen die von den betroffenen Unternehmen eingeleitete Bildung von Stakeholder-Gruppen und der zeitlich begrenzte Informationsaustausch in und zwischen den Stakeholder-Gruppen. Eigentümer, Mitarbeiter, Kunden, Kreditgeber und staatliche Organe können sich über die Liquidität, Kredite, Hilfsmaßnahmen oder auch operative Probleme eines Unternehmens austauschen und in kurzer Zeit gemeinsam effektive Maßnahmen zur Restrukturierung erarbeiten.
Zur Einhaltung der kartellrechtlichen Anforderungen hat das Bundeskartellamt mit dem VDA eine Reihe flankierender Maßnahmen vorgesehen. Dazu zählen insbesondere:
- Die betroffenen Zuliefer-Unternehmen der Automobilindustrie bleiben frei darin zu entscheiden, wann und in welcher Weise sie ihre Aktivitäten wieder aufnehmen wollen und ob sie öffentlich darüber informieren möchten. Sie werden insbesondere nicht verpflichtet, ihre Produktion zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder aufzunehmen.
- Der angekündigte Best Practice-Leitfaden des VDA wird keine unternehmensspezifischen Informationen etwa über Warenumfänge oder Verträge einzelner Unternehmen enthalten. Bestehende vertragliche Verpflichtungen sowie Vertragsänderungen bleiben unberührt. Zulieferer werden nicht verpflichtet, bestimmte Liefervolumina einzuhalten.
- Das vorgestellte Corona-Restrukturierungsverfahren betrifft Unternehmen, die sich während der Corona-Pandemie nach eigener Einschätzung in einer wirtschaftlichen Krise befinden und dieses Verfahren in Anspruch nehmen wollen. Erfasst sind Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland und Unternehmen im Ausland, deren Tochterunternehmen oder Betriebsstätten sich in Deutschland in einer Krise befinden.
- Das Corona-Restrukturierungsverfahren ist befristet. Es steht für Unternehmen zur Verfügung, die das erste Stakeholder-Treffen auf ein Datum bis spätestens 31. Dezember 2020 terminieren und vor dem Ende des Jahres zu diesem Treffen einladen.
- Der Umfang der Informationen, die zwischen den Beteiligten des Corona-Restrukturierungsverfahrens ausgetauscht werden, ist auf Daten beschränkt, die für die Restrukturierung unerlässlich sind.
- Der Informationsaustausch unterliegt besonderen Vertraulichkeitsregeln und ist auf klar bestimmte Personenkreise innerhalb der Unternehmen beschränkt, die Geheimhaltungspflichten unterliegen und für eine bestimmte Zeit nicht mehr an Einkaufsverhandlungen mit dem jeweiligen Zulieferer teilnehmen dürfen.
- Daten müssen in aggregierter Form ausgetauscht werden. Dies gilt insbesondere für die Weitergabe von Stückzahlen oder Teilepreisen. Unternehmen erhalten also keine unternehmensindividuellen Daten ihrer Wettbewerber, sondern nur entsprechende Gesamtzahlen des jeweiligen Zulieferers.
- Das Corona-Restrukturierungsverfahren endet mit dem Abschluss eines Rahmenvertrages, der die Beiträge der Stakeholder in genereller Form beschreibt. Die einzelnen Leistungen pro Vertragspartner werden ausschließlich bilateral zwischen dem Lieferanten und dem jeweils betroffenen Stakeholder verhandelt.
- Es steht jedem Stakeholder frei, an den Restrukturierungsverhandlungen nicht teilzunehmen oder das Ergebnis der Verhandlungen abzulehnen. Die Vertragspartner des Rahmenvertrages dürfen nicht vereinbaren, Stakeholder zu benachteiligen, die nicht Vertragspartner sind.
Das Bundeskartellamt geht davon aus, dass die Restrukturierungsverhandlungen nicht länger als bis Ende 2021 andauern.
Der VDA wird das Bundeskartellamt laufend über die weitere Entwicklung informieren. Das Bundeskartellamt behält sich behält sich eine vertiefte Prüfung für den Fall von Beschwerden oder anderweitiger neuer Erkenntnisse vor.