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BMW, Mercedes, Thyssenkrupp und VW dürfen zum Erwerb von bestimmten Technologielizenzen gemeinsam verhandeln

Das Bundeskartellamt toleriert den Start der „Automotive Licensing Negotiation Group“ (ALNG). Die ALNG ist eine geplante Kooperation der Unternehmen BMW, Mercedes-Benz, Thyssenkrupp und VW, um gemeinsam Bedingungen für den Erwerb von Lizenzen an sogenannten standardessentiellen Patenten (SEP) zu verhandeln. Sie soll für weitere Unternehmen der Automobilwirtschaft offen sein.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: Die Verwendung von Technologien wie 4G oder 5G in Smartphones oder Autos erfordert die Lizenzierung tausender von Patenten. Kartellrechtlich ist anerkannt, dass Lizenzgeber die für die Umsetzung eines Standards nötigen Patente in einem Paket bündeln können, das sie zu fairen Bedingungen anbieten. Unsere Prüfung befasst sich erstmals mit einer Kooperation der Lizenznehmerseite, womit wir weit über Deutschland hinaus kartellrechtliches Neuland betreten. Nach eingehenden Ermittlungen haben wir gegen die ALNG in der geplanten Form keine durchgreifenden Bedenken. Unsere Tolerierung setzt aber voraus, dass sich die Tätigkeit der ALNG auf nicht automobilspezifische Standards beschränkt und weitere kartellrechtliche Leitplanken beachtet werden. Insbesondere müssen Verhandlungen in diesem Rahmen stets freiwillig sein. Die Kooperation muss Zulieferern aus der Automobilbranche offenstehen. Der Informationsaustausch muss auf das unerlässliche Minimum beschränkt bleiben.“

Das Bundeskartellamt hat sich im Rahmen der Prüfung der ALNG sowohl mit den betroffenen Lizenzmärkten (Beschaffungsseite) als auch mit den verschiedenen Kraftfahrzeugmärkten (Absatzseite) befasst. Eine Beschaffungskooperation wie die ALNG kann für den Wettbewerb umso nachteiligere Wirkungen entfalten, je höher die gemeinsamen Marktanteile auf den betroffenen Märkten sind. Wird hier der Schwellenwert von 15 % nicht überschritten, ist eine solche Kooperation nach den EU-Leitlinien für Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit in der Regel kartellrechtlich zulässig.

Auf einem Lizenzmarkt für SEP für allgemeine Mobilfunktechnologien liegt der Nachfrageanteil der Beteiligten und auch ggf. künftiger ALNG-Mitglieder aus dem Bereich der Automobilwirtschaft gemeinsam bei unter 15 %. Da die entsprechenden Lizenzen für sehr viele Geräte benötigt werden (u.a. Smartphones) gibt es einen sehr breiten, wesentlich über die Automobilindustrie hinausgehenden Nachfragerkreis. Anders kann sich das Bild bei Standards darstellen, die in einem höheren Maße automobilspezifisch sind.

Auf den verschiedenen Kraftfahrzeugmärkten wird zwar der Schwellenwert von 15% mindestens teilweise überschritten. Hier ist jedoch die Gefahr einer Koordinierung der ALNG-Mitglieder als Folge einer gemeinsamen Beschaffung gering, da die Lizenzkosten für SEP regelmäßig unter 1 % der gesamten Produktionskosten eines Fahrzeugs liegen.

Zu den weiteren Rahmenbedingungen der Tolerierung der ALNG gehört insbesondere, dass die Verhandlung von Lizenzbedingungen mit der ALNG an Stelle von bilateralen Verhandlungen für die Lizenzgeber rechtlich und faktisch stets freiwillig ist. Die ALNG und die von ihr geführten Lizenzverhandlungen sollen zudem auch Zulieferern aus der Automobilbranche offenstehen. Im Hinblick auf die Gefahr eines Austausches wettbewerblich sensibler Informationen über das für die Durchführung der ALNG notwendige Maß hinaus, haben die Beteiligten organisatorische Maßnahmen vorgesehen, die dem entgegenwirken sollen und hinter die sie nicht zurückweichen dürfen.

Das Amt hat der ALNG im Zuge der Tolerierung ebenfalls mitgeteilt, dass Erweiterungen der Tätigkeit der ALNG oder ihrer Verhandlungsgruppen auf automobilspezifischere Technologien dem Bundeskartellamt vor ihrer Aufnahme angezeigt werden müssen. Dies gilt auch für andere wesentliche Veränderungen der Organisation oder Tätigkeit der ALNG.

Hintergrund

Standardessentielle Patente (SEP) sind solche Patente, ohne deren Benutzung ein bestimmter Standard nicht in einem Produkt implementiert werden kann. Beispiele hierfür sind Mobilfunkstandards wie 4G, 5G oder auch Standards wie WiFi oder H.265 (Videokompression), deren Implementierung etwa in Smartphones, aber auch in Fahrzeugen, die Benutzung tausender Patente erfordert. Nach den Bedingungen der meisten Standardisierungsorganisationen sowie aus kartellrechtlichen Gründen sind die Inhaber von SEP regelmäßig verpflichtet, Lizenzen an diesen zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen (fair, reasonable and non-discriminatory, FRAND-Bedingungen) zu erteilen. Immer wieder kommt es allerdings zu längeren gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Lizenzierungspflicht und die Lizenzbedingungen.

Wirtschaftlich sind die Lizenzmärkte von erheblicher Bedeutung. So reicht etwa das Marktvolumen für Lizenzen an Mobilfunk-SEP weltweit in den zweistelligen Milliardenbereich hinein.

Die Etablierung von Licensing Negotiation Groups (LNG) wie der ALNG ist eine recht neue Entwicklung und wird von den verschiedenen Marktteilnehmern unterschiedlich bewertet. Während etwa die Beteiligten der ALNG geltend machen, sie könne die Zahl notwendiger Verhandlungen reduzieren und so Transaktionskosten reduzieren, werden von Seiten der Lizenzgeber Befürchtungen geäußert, LNGs könnten die Balance der Verhandlungsmacht zu Lasten der Lizenzgeber verschieben.

Eine anonymisierte Version des Vorsitzendenschreiben finden Sie hier.

Englische Version:

  • BMW, Mercedes, Thyssenkrupp and VW can negotiate jointly for the acquisition of certain technology licences

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