Diskussion über nationale Missbrauchsaufsicht und relative Marktmacht im europäischen Kontext – Tagung des Arbeitskreises Kartellrecht

27.09.2024

Am 26. September 2024 fand die Tagung des Arbeitskreises Kartellrecht statt. Auf Einladung des Bundeskartellamtes beteiligten sich über 100 Wettbewerbsexpertinnen und -experten an der Diskussion und dem Gedankenaustausch zum Thema „Nationale Missbrauchsaufsicht und relative Marktmacht im europäischen Kontext“.

Der Arbeitskreis setzt sich zusammen aus zahlreichen Professorinnen und Professoren rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Fakultäten, hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern nationaler und europäischer Wettbewerbsbehörden und Ministerien sowie Richterinnen und Richtern der Kartellsenate beim Oberlandesgericht Düsseldorf und beim Bundesgerichtshof (BGH). Seit über 50 Jahren finden in diesem Rahmen jährliche Konferenzen zu grundsätzlichen wettbewerbspolitischen Themen statt.

Geleitet wurde die Tagung von Prof. Dr. Konrad Ost, Vizepräsident des Bundeskartellamtes.

Bei seiner diesjährigen Tagung hat sich der Arbeitskreis Kartellrecht mit dem Verhältnis des nationalen zur europäischen Missbrauchsaufsicht befasst. Das Bundeskartellamt, wie alle Wettbewerbsbehörden in Europa, wendet neben dem jeweiligen nationalen Recht fast immer auch EU-Wettbewerbsrecht an. Nämlich in Fällen, in denen der zwischenstaatliche Handel berührt ist. Allerdings weisen das nationale Recht und die EU-Wettbewerbsregeln gewisse Unterschiede auf. Der Umgang mit diesen ist in der Durchführungsverordnung der EU-Wettbewerbsregeln für das Kartellverbot und die Missbrauchsaufischt (VO 1/2003) geregelt, deren Evaluation die EU-Kommission vor kurzem abgeschlossen hat.

Ein Kernpunkt der Diskussionen war die Frage, welche Bedeutung strengere nationale (Missbrauchs-)Regeln im Verhältnis zum EU-Recht haben und ob auch in Zukunft die Möglichkeit bestehen soll, solche Regeln zu erlassen. Momentan sind im Bereich des Kartellverbots, also bei Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen, keine strengeren nationalen Regeln zulässig, im Bereich der Missbrauchsaufsicht, also einseitigen Handlungen, allerdings schon. So kann nach deutschem Kartellrecht die Missbrauchsaufsicht auch gegen Unternehmen zur Anwendung kommen, die zwar nicht marktbeherrschend sind, aber von denen andere Unternehmen abhängig sind (sog. relative Marktmacht). Beispiel: Eine große Handelskette fordert von ihren Lieferanten Sonderrabatte ohne eine entsprechende Gegenleistung. Das Bundeskartellamt hat gerade in diesem Bereich eine langjährige, höchstrichterlich bestätigte, Fallpraxis.   

Prof. Dr. Ost: „Die Zulässigkeit strengerer nationaler Regeln im Verhältnis zum europäischen Wettbewerbsrechts hat sich bewährt. Dies erlaubt uns, frühzeitig und effektiv gegen bestimmte wettbewerbsschädliche Praktiken vorzugehen, die wir auf Basis der europäischen Normen so nicht aufgreifen könnten. Gleiches gilt für die Unternehmen, die sich zivilrechtlich gegen missbräuchliche Verhaltensweisen anderer Unternehmen zur Wehr setzen wollen. Dies betrifft zum Beispiel die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen unterhalb der Schwelle der Marktbeherrschung. Erst im Rückgriff auf strengere nationale Regeln können wir gegen diese Praktiken einschreiten, die dem Wettbewerb sonst irreparable Schäden zufügen könnten."

In seinem einleitenden Beitrag betonte Prof. Dr. Wolfgang Kirchhoff, Vorsitzender Richter des Kartellsenats beim BGH, die erhebliche Bedeutung der Kontrolle relativer Marktmacht für den Erhalt offener Märkte in Deutschland insbesondere durch die private Kartellrechtsdurchsetzung. Für § 19a GWB, der die Missbrauchsaufsicht des Bundeskartellamtes über Digitalkonzerne erleichtern soll, sah er auch neben dem europäischen Recht weiterhin einen nicht unerheblichen Anwendungsbereich.

Im Anschluss moderierte die Leiterin der Grundsatzabteilung, Silke Hossenfelder, eine Podiumsdiskussion, in deren Rahmen Prof. Dr. Florian Bien (Universität Würzburg) und Prof. Dr. Oliver Budzinski (TU Ilmenau) das Konzept der relativen Marktmacht aus juristischer und ökonomischer Sicht beleuchteten. Prof. Dr. Peter Picht (Universität Zürich) brachte mit einer Darstellung der schweizerischen Regelungen zur relativen Marktmacht eine rechtsvergleichende Perspektive ein. Vor der Mittagspause stellte Anna Vernet, stellvertretende Abteilungsleiterin bei der Europäischen Kommission, die Ergebnisse der jüngst abgeschlossenen Evaluation der VO 1/2003 vor. Schließlich skizzierte Prof. Dr. Thomas Ackermann die Rahmenbedingungen einer Reform der Verordnung.

Das Arbeitspapier zu der Tagung sowie einzelne Vorträge der Teilnehmenden (sobald verfügbar) können auf der Internetseite des Bundeskartellamtes abgerufen werden (Link).